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Politik: Spionage: Mata Haris erfolgloser Chef

Am 7. September 1945 verhafteten russische Soldaten einen grauhaarigen älteren Herrn in seinem Haus in Nordhausen.

Am 7. September 1945 verhafteten russische Soldaten einen grauhaarigen älteren Herrn in seinem Haus in Nordhausen. Der Mann, seinen Nachbarn als Oberst a."D. der kaiserlichen Armee bekannt, ahnte damals nicht, dass er seine Angehörigen nicht wiedersehen sollte. Walter Nicolai beherrschte als ehemaliger Generalstabsoffizier neben Englisch, Französisch und Japanisch auch Russisch, und hoffte den vermeintlichen Irrtum schnell aufklären zu können.

Er konnte nicht wissen, dass seine Verhaftung durch Generaloberst Serow von der sowjetischen militärischen Spionageabwehr persönlich angeordnet worden war. Das geht aus seiner Untersuchungsakte Nr. 21 152 hervor, die der Journalist Zan Taratuta und der Ex-KGB-General Aleksandr Zdanovic aufgefunden und unter dem Titel "Der geheimnisvolle Chef der Mata Hari" vor kurzem in Moskau herausgegeben haben.

Serow, von 1954 bis 1958 auch KGB-Chef, war durch das Buch "Total Espionage" des deutschen Emigranten Curt Riess auf Nicolai aufmerksam geworden. Riess schreckte seine amerikanischen Leser mit diesem flott geschriebenen Buch aus dem Jahr 1941. Er beschrieb darin das Wirken eines weltumspannenden Netzes nazistischer Geheimdienste. Obwohl Riess sich auf angebliche Insiderinformationen berief, war sein Buch zum größten Teil Fiktion. Generaloberst Serow ersah aus diesem Buch jedenfalls, dass Oberst a.D. Nicolai die "graue Eminenz" der Geheimdienste des Dritten Reiches gewesen sein musste.

Mit Geheimdiensten kannte sich Nicolai einstmals gut aus. Im Jahre 1873 als Sohn eines preußischen Hauptmanns und einer Bauerntochter in Braunschweig geboren, hatte er 1893 die militärische Laufbahn eingeschlagen. 1906 begann seine Karriere bei der Sektion III b, dem militärischen Nachrichtendienst Preußens. In Königsberg stationiert, hatte Hauptmann Nicolai Agenten anzuwerben und militärische Informationen über Russland zu sammeln. Dies gelang ihm so gut, dass er bereits nach zweijähriger Dienstzeit Anfang 1913 selbst Chef von III b wurde. Nicolai leitete den deutschen Nachrichtendienst während der gesamten Zeit des Ersten Weltkrieges.

Nicolai war neben der rein militärischen Aufklärung auch für die Spionagewehr und die Überwachung von Presse und Volksstimmung in Deutschland zuständig. Bemüht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, entwickelte er sich zu einer fast mythischen, aber auch vielfach gehassten und gefürchteten Persönlichkeit. Trotzdem wurden sowohl Einfluss als auch Erfolg von Walter Nicolai als Geheimdienstchef stark überschätzt. Er sah weder den Kriegseintritt Amerikas noch die russische Revolution von 1917 voraus.

1919 wurde Oberstleutnant Nicolai pensioniert. In der Weimarer Republik gelang es ihm trotz vieler Anstrengungen nicht, im Zivilleben Fuß zu fassen. Mehr schlecht als recht lebte Nicolai mit Frau, zwei Töchtern und seiner Mutter von 430 Reichsmark Pension. Versuche in Japan, Finnland, der Türkei oder Litauen, seine Erfahrungen im Nachrichtendienst zu verwerten, scheiterten. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wollten auch Heinrich Himmler und Abwehrchef Canaris nicht auf Nicolai, der sich selbst für den idealen Geheimdienstchef hielt, zurückgreifen.

Bei den Verhören in Deutschland und in Moskau glaubten ihm die sowjetischen Geheimdienstoffiziere nicht, dass seine Tätigkeit im Nachrichtendienst 1918 geendet hatte. Behauptete Curt Riess doch in seinem Buch das glatte Gegenteil. Auch frühere Prahlereien Nicolais in seinem 1923 erschienenen Buch "Geheime Mächte" wurden ihm nun zum Verhängnis. Hatte Nicolai hier doch auf seine früheren "wertvollen Verbindungen" in Russland verwiesen. Die Vernehmungsoffiziere wollten es Nicolai nicht glauben, dass seine Agenten damals nur kleine Kaufleute, Schmuggler und Handlungsreisende gewesen waren.

Am 16. Januar 1946 berichtete der damalige Minister für Staatssicherheit der UdSSR, Armeegeneral Merkulow, Stalin über die Untersuchungsergebnisse im Fall Nicolai. Walter Nicolai selbst hatte nur noch den einen Wunsch: seine Familie noch einmal wiederzusehen. In Haft siechte er trotz seiner für russische Verhältnisse relativ guten Haftbedingungen schnell dahin. Letzte Fotografien zeigen einen stark gealterten und desillusionierten Nicolai. Am 4. Mai 1947 starb Walter Nicolai im Hospital des Moskauer Butyrki-Gefängnis. Der Leichnam wurde verbrannt und auf dem Moskauer Don-Friedhof in einem Massengrab bestattet. Erst 1999 rehabilitierte die russische Militärstaatsanwaltschaft Walter Nicolai.

Jürgen Schmidt

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