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Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellt sich der Presse.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Update

Spionageskandal BND/NSA: Innenminister de Maizière sieht sich voll entlastet

In der BND-Affäre wurde es ungemütlich für einige Minister und Verantwortliche. Innenminister de Maizière hält aber nach einem langen Tag der Aufarbeitung durch den Bundestag die Vorwürfe gegen sich für ausgeräumt.

Von Anna Sauerbrey

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht sich in der Affäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) voll entlastet. „Ich habe als Kanzleramtsminister im Jahre 2008 nichts erfahren von Suchbegriffen der US-Seite, Selektoren oder ähnlichem zum Zwecke der Wirtschaftsspionage in Deutschland“, sagte er nach einem Auftritt im Parlamentarischen Kontrollgremium am Mittwoch in Berlin.

„Es wurden auch keinerlei Firmennamen genannt. 2008 ging es vielmehr um den Wunsch der amerikanischen Seite nach Ausweitung der Kooperation, einer problematischen Kooperation“, sagte de Maizière. Der BND habe davon abgeraten. „Wir haben dann den Wunsch der amerikanischen Seite nach dieser Kooperation einvernehmlich abgeschlagen. Von daher bleibt von den gegen mich erhobenen Vorwürfen nichts übrig.“

Ein Tag nach Ströbeles Geschmack

Die Affäre um den BND und den US-Geheimdienst NSA (National Security Agency) beherrscht am Mittwoch den Bundestag. Das Parlamentarische Kontollgremium tagt in einem abhörsicheren Raum. Die Türen von Raum 2600 öffnen sich, Hans-Christian Ströbele kommt als erstes raus. „Die Anforderungen, die Range für einen Anfangsverdacht stellt, reichen für drei Verurteilungen“, sagt er. Er wirkt beinahe fröhlich. Solche Tage schmecken ihm. Das Ergebnis der Befragung des Generalbundesanwalts Harald Range im Rechtsausschuss, das muss aber auch er zugeben, ist mäßig. Man könnte den Morgen so zusammenfassen: Inhaltlich kam nichts dabei herum, aber jetzt sind alle sauer aufeinander. In der Sache hat Range nichts gesagt, er habe die Presse zusammengefasst, bestätigen Abgeordnete. Die Ausschussvorsitzende Renate Künast (Grüne) verteidigt die Einladung: „Es ist wichtig, dass das Parlament selbstbewusst nachfragt.“

Christian Ströbele (Grüne), steht viel im Mittelpunkt an diesem Tag.
Christian Ströbele (Grüne), steht viel im Mittelpunkt an diesem Tag.

© dpa

Während der Sitzung war es hinter den Türen hoch her gegangen. Zu hören ist, dass besonders die Unionsabgeordneten Stephan Harbarth und Elisabeth Winkelmeier-Becker sowie die SPD-Abgeordneten Johannes Fechner und Christian Flisek harsche Worte gefunden haben. Flisek verlässt kurz den Raum. Er spricht von einer „Inszenierung von Politik“ durch die Ausschussvorsitzende Künast, die Veranstaltung sei bislang völlig „ergebnislos“. Die Aufklärung gehöre in den Untersuchungsausschuss, inhaltlich sei bislang nichts erreicht worden, man lese sich gegenseitig die Presse vor. „ Wir brauchen erst die Selektorenlisten.“

Ob diese Liste mit den Suchkriterien für die Spionage im Internet allerdings im Laufe des Tages, wie gefordert, vorliegen wird, ist schon am Vormittag stark zu bezweifeln. Die Regierung verhandelt noch mit den Amerikanern, dieses Verfahren wurde extra für den Untersuchungsausschuss eingerichtet. Für Akten, bei denen die NSA oder andere US-Stellen betroffen sind, holt sich die Bundesregierung ein Okay in den USA. Steffen Seibert sagte dazu: „Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das morgen ist, oder an einem anderen Tag.“

Ein langer Tag der Aufarbeitung

Die Sitzung war der Auftakt zu einem langen Tag der Parlamentarischen Nachbearbeitung der BND-Affäre. Mittags kommt in einem Kellerraum auf der anderen Seite des Reichstags, im Jakob-Kaiser-Haus, das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) zusammen, später das Plenum des Bundestages auf Antrag der Koalition zu einer Aktuellen Stunde. Zwischendurch versuchen die Fraktionen in diversen Pressekonferenzen, ihre Sichtweise an den Mann zu bringen. Am Abend treffen die Obleute des NSA-Untersuchungsausschusses noch mit Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) zusammen. Eine der großen Fragen des Tages ist: Werden bis dahin die umstrittenen Listen mit den Selektoren vorliegen? Und wenn nicht: Wie wird Altmaier das entschuldigen?

Welche Rolle spielt Generalbundesanwalt Harald Range?

Für Harald Range drohte es von Anfang an ein ungemütlicher Tag zu werden. „Ich habe den Eindruck, dass sich der Generalbundesanwalt in den letzten Jahren als Strafverhinderungsbehörde betätigt hat“, schimpfte der Grüne Ströbele. Range suche mehr nach Gründen, nicht tätig werden zu müssen, als zu ermitteln, sagte er, auch mit Blick auf die Abhöraffäre um das Kanzlerinnen-Handy. In Sachen BND-Affäre hatte Range Ende vergangener Woche einen „Prüfvorgang“ eingeleitet. Man müsse prüfen, ob es etwas gebe, dass in den Zuständigkeitsbereich der Behörde falle, sagte ein Sprecher. Das klang tatsächlich ziemlich mau.

Was passierte im Parlamentarischen Kontrollgremium?

Massenauftrieb im Kellergeschoss des Jakob-Kaiser-Hauses. Hier liegt der abhörsichere Raum, in dem das PKGr tagt. Ströbele tritt noch einmal vor die Kameras. Die Mittagspause zwischen Rechtsausschuss und PKGr hat er mit Akten verbracht, die frisch vom Kanzleramt in die Geheimschutzstelle geliefert worden sind. Die Selektorenlisten seien nicht dabei. Überhaupt: nichts Neues. Er werde beantragen, dass dem PKGr die gesamte Selektorenliste des BND, „wahrscheinlich Millionen von Begriffen“ in digitaler Form, vorgelegt wird, „damit wir das selbst durchsuchen können“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nutzt die Gunst der Stunde, um im Hintergrund schnell in den Raum zu huschen. Peter Altmaier kommt von der anderen Seite. Er schlendert, lächelt Richtung Kameras, jetzt bloß nicht eilig aussehen. Sein Sprecher, Dominik Geißler, nimmt sich Zeit für ein paar Fragen. Nein, sagt er, er glaube nicht, dass die Selektorenlisten in dieser Woche vorgelegt werden. „Hochkomplex“ sei ja die Anfrage an die Amerikaner, die bräuchten Zeit. Wie lang weiß er auch nicht, Wochen, einen Monat? Nach fast zwei Stunden treten die Mitglieder vor die Journalistenhundertschaft.

André Hahn (Linke), Vorsitzender des PKGr, macht den Anfang. Die Abgeordneten haben Thomas de Maizière befragt und Aktenvermerke eingesehen. Das Fazit: Über den Fund der Selektoren ist de Maizière nicht informiert worden – zumindest ist es, wie Ströbele und Hahn betonen, nicht aktenkundig geworden. In keinem der Vermerke, die de Maizière vorgelegt wurden, standen Firmennamen, nirgendwo sei das Wort „Selektor“ aufgetaucht, sagt PKGr-Mitglied Stephan Mayer (CSU) später im Plenum. Clemens Binninger (CDU) sagt: „Keiner der Vermerke enthält Aufforderungen an den Minister, dass man an der Praxis der Durchsuchung der satellitengestützten Aufklärung in Bad Aibling etwas ändern müsste. Maßnahmen wurden dann offenbar tatsächlich auch nicht ergriffen. Es war für den Minister kein Handlungsbedarf erkennbar.“ Allerdings war de Maizière offenbar informiert, dass es „Begehrlichkeiten“ der NSA gab, die über die verabredete Zusammenarbeit hinausgingen. BND-Chef Gerhard Schindler habe außerdem versichert, „der Schutz deutscher Bürger sei jederzeit eingehalten worden.“ Deutsche seien von vornherein aussortiert worden. Und dann der Minister selbst, der meint, dass von den Vorwürfen gegen ihn nichts geblieben sei. Eine Sprecherin der Unionsfraktion bestätigt derweil: Der Antrag der Opposition auf eine Sondersitzung ist ablehnt.

Aktuelle Stunde im Bundestag – mehr als eine Redeschlacht?

Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer wird deutlich: Die Vorwürfe und Unterstellungen gegen den früheren Kanzleramtschef de Maizière seien „unanständig, bodenlos, unanständig“. In keinem der Vermerke stehe auch nur ein Unternehmensname. Als de Maizière in die USA reiste, sei es der BND selbst gewesen, der vor einer Ausweitung der Zusammenarbeit mit der NSA gewarnt habe, weil in Zukunft Missbrauch drohe. „Die Vorwürfe gegen unseren Bundesinnenminister haben sich restlos in Luft aufgelöst“, ruft Mayer ins Plenum. Bei der Opposition schürt das nur die Angriffslust. „Wir können hier nicht in angemessener Weise reagieren“, beschwert sich die Linken-Obfrau im NSA- Ausschuss, Martina Renner. Grünen- Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schießt gegen die Kanzlerin: Angela Merkel verfahre seit Jahren nach dem Motto „vertuschen, verschleiern, aussitzen“. Ihr Fraktionskollege Ströbele rügt, dass Merkel an der Debatte nicht teilnimmt. Die Kanzlerin müsse „sofort“ ihre Aussage aus dem Wahlkampf 2013 korrigieren, dass es keine Wirtschaftsspionage durch die NSA gegeben habe. Die SPD-Redner übrigens halten sich mit Vorwürfen zurück. Aber in einem sind sie mit der Opposition einig: Die Selektoren-Liste müsse der NSA-Ausschuss einsehen können. „Notfalls müssen wir davon auch die amerikanischen Freunde überzeugen“, mahnt der SPD-Obmann Christian Flisek. Seine Parteifreundin Susanne Mittag ist da erheblich forscher: „bis morgen“ müsse die Liste vorliegen.

Was soll der NSA-Untersuchungsausschuss leisten?

Am Dienstag hatten Grüne und Linke eine Sondersitzung des NSA-Untersuchungsausschusses beantragt. Zwar tagt das Gremium wie geplant ohnehin am Donnerstag und hört vier entscheidende Zeugen: Alle vier sind oder waren Mitarbeiter der Abteilung Technische Aufklärung des BND und in Bad Aibling eingesetzt, dem Hauptquartier der „Joint Sigint Activity“, der Zusammenarbeit von NSA und BND. Alle vier hatten sehr direkt mit den fraglichen Selektorenprüfungen in den Jahren 2013 und 2015 zu tun. Doch die Opposition will auch schon in dieser und in der nächsten Woche die heutigen und früheren Verantwortlichen aus dem Bundeskanzleramt hören: Peter Altmaier, Thomas de Maizière, Ronald Pofalla und Frank-Walter Steinmeier.

Die Affäre droht den NSA-Untersuchungsausschuss zu spalten. Bislang arbeiteten die Abgeordneten über Fraktionsgrenzen hinweg recht einmütig zusammen. Das Medieninteresse war erkaltet, das ist immer gut für die Zusammenarbeit. Man respektierte sich und lernte sich in den vielen, teil bis in die Nacht reichenden Sitzungen gut kennen. Aus und vorbei: Die Fieseligkeiten zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Twitter-Schlagabtausch zwischen CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und SPD-Vize Ralf Stegner sind symptomatisch für das neue gegenseitige Misstrauen. Die Oppositionsobleute sind wütend und enttäuscht, dass Union und SPD nicht mitziehen, um den medialen Schwung optimal zu nutzen. Aber SPD-Obmann Flisek stellt trotz aller offenen Fragen selbstbewusst fest: „Ohne die Aufarbeitung des Untersuchungsausschusses hätte nicht einmal das Kanzleramt davon erfahren.“

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