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Politik: Spitz auf Knopf

Die Parteien beenden mit Großkundgebungen den Wahlkampf, und alle sind sicher: Wir gewinnen, aber es wird ganz, ganz knapp

Von Robert Birnbaum,

Cordula Eubel und Hans Monath

„Richtungsentscheidung“ – kein Wort ist binnen etwa zwei Stunden so häufig aus so vielen prominenten Mündern gefallen wie am Freitagabend. Es fällt in Dortmund in der Westfalenhalle aus Gerhard Schröders Kanzlermund, sein Herausforderer Edmund Stoiber sagt es in der Max-Schmeling-Halle in Berlin, im Tempodrom gebraucht es Joschka Fischer, in Stuttgart in der Liederhalle macht sich Guido Westerwelle anheischig, ab Sonntag die Richtung mit vorzugeben. Nur bei der PDS in der Arena in Treptow wird es nicht vernommen. Da muss Gregor Gysi eine Glocke läuten, die jahrelang im Alleinbesitz der FDP gewesen war: das Totenglöckchen. „Die Ostdeutschen werden schon spüren, was ihnen verloren geht, wenn die PDS nicht mehr im Bundestag ist“, warnt der Ex-Wirtschaftssenator.

Da geht es bei Schröder schon ganz anders zu. Die Westfalenhalle ist rappelvoll. Sozialdemokraten im Ruhrgebiet sind eben immer noch disziplinierte Parteigänger. Und hier wie bei der Konkurrenz von der CDU in Berlin wissen sie: Es wird ganz, ganz knapp oder, mit CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zu sprechen: „Es steht Spitz auf Knopf.“ Die letzte Prognose vor der Wahl, am Freitag vom Allensbach-Institut verbreitet, sieht bei den Großen die SPD ein bisschen vorn, dafür bei den Kleinen die FDP – ein fast perfekter Patt-Zustand. Dass die Großkundgebungen, die offiziell den Wahlkampf beenden, noch irgend einen Wähler bewegen, glaubt niemand. Trotzdem mag keine Partei auf das Spektakel verzichten, bei dem die Spitzenleute noch einmal mit vom vielen Reden schon ganz heiseren Stimmen die eigenen Anhänger anfeuern.

So kriegen die Kameras noch mal Bilder: Ein Meer von roten Fahnen, roten Kappen, roten T-Shirts in Dortmund. Deutschland-Fahnen und „Ich will Stoiber“-Pappschilder in Berlin. Grünes Konfetti bei den Grünen ein paar Kilometer weiter. Gelbe Flaggen und blau-gelbe Ballons in Stuttgart. Und in München steht CDU-Chefin Angela Merkel im Regen – auf dem Marienplatz, bei der Schwesterpartei CSU.

Schröder hat sich prominenter Unterstützung versichert. Günther Grass ist da, der bei der Gelegenheit enthüllt, dass er sich auch nicht die Haare färbe. Der schwedische Ministerpräsident Persson ist da, ein Sozialdemokrat, der gerade gegen alle Umfragen seine Wahl gewonnen hat. Und im Geiste ist Willy Brandt da, der 1972 ebenfalls hier seinen Wahlkampf beendete und die Wahl „mit Glanz und Gloria“ gewann. Das, sagt Schröder, soll sich wiederholen. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, antwortet das fussballstadionerfahrene Publikum.

Aber Stoiber gibt sich gleichfalls siegessicher, so sicher, dass er seinen Triumph kurzerhand auf „morgen, wenn ich mein Amt antrete“ vorverlegt. „Der Mann ist für mich schon von gestern“, ruft er dem Mann hinterher, der jedenfalls morgen noch Kanzler sein wird. Aber keinen Tag länger, wenn es nach dem Kanzlerkandidaten und den tausenden Getreuen in der nicht ganz vollen Schmeling-Halle geht. Kompetenz gegen Verpackung – Stoiber bleibt seinem Wahlkampf-Motto treu: Ein „Volksentscheid über die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands“ müsse der Wahltag werden.

Bei den Grünen ebenfalls gewohnte Töne – mit einem kleinen neuen Unterton. Selten zuvor hat die Grünen-Spitze so klar ihre Wähler zum Stimmen-Splitting aufgerufen, um auf diesem Wege der SPD zu Direktkandidaten und damit möglicherweise den entscheidenden paar Überhangmandaten zu verhelfen. Rot-Grün solle man wählen, „und zwar in dieser Reihenfolge“, ruft Renate Künast ins Tempodrom. Joschka Fischer schließt sich an. Mit einer kleinen Ausnahme, dem Lokalgeist geschuldet: Im Stimmbezirk Kreuzberg möge man, sagt Fischer, doch bitte die Erststimme nicht der SPD gönnen, sondern dem grünen Kandidaten Christian Ströbele.

Auch in Stuttgart nichts Neues mehr. Dass die Saal-Band „Wirtschaftswunder“ heißt, ist letzter Anklang an den Spaßwahlkampf, dessen Reste Jürgen Möllemann verdorben hat. Aber der ist kein Thema beim zweiten, kleinen Kanzlerkandidaten. Wer die PDS nicht in der Regierung sehen wolle und die Grünen nicht mehr, der müsse FDP wählen, beschwört einmal mehr Guido Westerwelle.

Dann gehen alle nach Hause. Der Wahlkampf ist auf einmal vorbei .

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