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Sri Lanka

© AFP

Sri Lanka: Im Land des Ausnahmezustands

In Sri Lanka herrschen Gewalt und Sprachlosigkeit zwischen den verfeindeten Gruppen. Die Regierung scheint ratlos und erhöht nur den Militäretat.

So ein Satz sitzt. „Mama, die Polizisten sind ja hier gar nicht wie die Jäger.“ Mit ein paar Worten hat die Fünfjährige auf Deutschlandbesuch den Alltag in ihrer Heimatstadt Colombo auf Sri Lanka, auf den Punkt gebracht. Dort herrscht täglich Ausnahmezustand, überall sind Uniformierte mit Gewehr im Anschlag unterwegs, Checkpoints säumen die Straßen, oft bilden sich Staus bei ausgiebigen Kontrollen. Dabei ist Colombo weit entfernt von den Kriegsschauplätzen im Norden und Osten der Insel im Indischen Ozean. Bewohner der Hauptstadt beruhigen sich damit, dass die Präsenz der Bewaffneten die Sicherheit erhöht und trotz allem die Wirtschaft des 20-Millionen-Einwohner-Landes im Moment um fünf bis sechs Prozent wächst. Allerdings könnten die enormen Kriegskosten der Regierung bald Probleme machen, denn inzwischen steigen deshalb auch die Preise.

Auf Sri Lanka kämpfen die so genannten Befreiungstiger der tamilischen LTTE gegen die singhalesisch geprägte Regierung. Sie wollen Autonomie für den Norden und Osten der Insel. Vor einiger Zeit spaltete sich die im Osten verwurzelte Gruppe um den Tamilen-General Karuna ab. Beobachter glauben, die Gruppe werde von Regierungsmilitärs gestützt und verübe Überfälle, um diese dann der LTTE anzulasten. Manche Analysten sind auch überzeugt davon, dass es Fälle von „friendly fire“ im Regierungslager gibt, um es der LTTE zuzuschreiben.

Im Juli verkündete die Regierungsarmee, sie habe den Osten von der LTTE befreit. Stimmen aus der Bevölkerung dort hören sich allerdings nicht sehr glücklich an. Viele Häuser wurden zerstört und geplündert. Singhalesischen Soldaten wird jetzt angeboten, sich im Osten niederzulassen. Wenn es gut für sie läuft, will die Regierung im Osten Regionalwahlen abhalten. Dabei könnte die Karuna-Partei antreten. Würde sie gewählt, könnte die LTTE kaum mehr einen Alleinvertretungsanspruch für die Tamilen erheben. „Damit hätten sich die Tamilen selbst besiegt“, analysiert der Asienexperte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Doch Colombo setzt derzeit auf Waffen. Armeechef Sarath Fonseka kündigte bereits den Sturm auf den von den Tamilentigern kontrollierten Norden an, das Wanni. In einem Jahr, „vielleicht sogar weniger“, werde die LTTE dort besiegt sein, sagte er dem „Economist“. Doch das ist sehr fraglich, weil allein der Sieg im Osten viele Regierungssoldaten bindet.

Genau darauf setzt die LTTE. „Sicher, einige Gebiete sind uns verwehrt worden, aber das heißt nicht, dass wir den Osten frei gemacht hätten. Grundbesitz ist eine Sache, aber ihn zu bewachen, wird die sri-lankische Armee nicht in der Lage sein“, tönte ihr Militärsprecher Rasiah Ilanthiriyan. Außerdem seien die LTTE-Kommandeure immer noch dort. Wie seit 25 Jahren.

Der Frieden scheint in weiter Ferne – auch weil kürzlich die Vereinigte Nationale Partei (UNP) angekündigt hat, sie sei nicht mehr für eine föderale Ordnung Sri Lankas. Die UNP ist die stärkste Oppositionspartei und arbeitet seit 2006 mit der Minderheitsregierung der Sri-Lanka-Freiheitsallianz (SLFP) zusammen. Im Föderalismus aber läge der Ansatz für Frieden. Optimisten hoffen noch, dass ein Parteitag diesen Kurs kassiert, denn worüber sollte die LTTE sonst verhandeln.

Von all dem versucht sich Stephanie Schell-Faucon nicht entmutigen zu lassen. Im Projekt „Flict“ hat die gelernte Pädagogin in Diensten der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vier Jahre Friedensarbeit geleistet. „Es geht um Frieden im ganzen Land, nicht nur im Norden und Osten“, sagt die schmale 40-Jährige mit den dunklen kurzen Locken. Sie hat mit einem sri-lankischen Team für gewaltfreies Zusammenleben geworben, finanziert vom Bundesentwicklungsministerium, Briten, Australiern, Dänen und neuerdings der EU. „Die Probleme können nur die Leute lösen, die hier leben, nicht wir von außen.“ Wenn ein junger Singhalese nach einem Treffen sagt, es sei der unvergesslichste Moment in seinem Leben, dass er offen mit einer Tamilin gesprochen hat, sind die Mitarbeiter einen großen Schritt vorangekommen. „Das ist viel und nötig, um den großen Konflikt da oben zu lösen“, sagt Schell-Faucon. Doch selbst dieser Weg ist schwierig angesichts von Anschlägen, Angst und der Tatsache, dass das Wanni praktisch durch eine Grenze vom Rest des Landes getrennt ist. Tamilen brauchen zahllose Genehmigungen; gemeinsame Workshops sind deshalb inzwischen fast unmöglich.

Zudem sind Tamilen und Singhalesen praktisch stumm, sie sprechen im Wortsinn keine gemeinsame Sprache. Nur viele Muslime, eine geschmähte Minderheit in Sri Lanka, beherrschen Tamilisch wie Singhalesisch. Der alternative Sender Young Asia TV versucht es nun mit zweisprachigen Programmen: gleichberechtigt, nicht mit Untertiteln. Aber die sind im staatlichen TV selten zu sehen. Young Asia TV lockt auch mit Spielfilmen. Ein Teledrama, das die Geschichte einer Familie entlang der – inzwischen gesperrten – Strecke vom Süden bis Jaffna im Norden erzählt, hat großen Erfolg. „Allein über die Vernunft läuft es nicht“, sagt Stephanie Schell-Faucon. „Wenn wir die Menschen auch bei ihren Gefühlen erreichen, passiert mehr.“

Zum jetzigen Zeitpunkt ist völlig unklar, was aus dem Inselstaat wird, der bis auf die prosperierende Zone um die Hauptstadt Colombo völlig verarmt ist, indem es gut 1000 „Verschwundene“ gibt und die Menschenrechte massiv verletzt werden, ein Staat, der bereits eine seiner zwanzig Millionen Bürger ans Ausland verloren hat und alle Anzeichen trägt, gar kein Staat mehr zu sein. Europa hat sich weitgehend zurückgezogen, Hilfe kommt nur noch aus Japan, China und Indien. Die Regierung kümmert es wenig, und sie will auch nicht, dass die desolate Lage Thema im Ausland wird. UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour bemühte sich diese Woche bei einem Besuch um Informationen aus erster Hand. Ins Tamilengebiet ließ Colombo sie nicht.

Aber es könnte sich doch etwas bewegen, denn die Kriegskosten steigen. Die Menschen klagen bereits über die Inflation und hohe Nahrungspreise. Für die Regierung Rajapakse könnte es schwierig werden, wenn sie im November ihren Etat vorlegt – und das Militärbudget wieder enorm erhöht. Beobachter hoffen noch auf eine politische Lösung und setzen darauf, dass Indien eine Friedensinitiative unternimmt. Der große Nachbar hätte ein starkes Interesse daran, den Konflikt auf Sri Lanka zu lösen, der seine Folgen auch für das indische Festland hat. In Indiens südlichem Bundesstaat Tamil Nadu leben etwa 58 Millionen Tamilen.

Bis es so weit ist, werden die Menschen in Sri Lanka wohl noch eine Weile mit Polizisten leben, die sich wie Jäger verhalten.

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