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Politik: Staatsfeind Schattenspieler

In Indonesien hat der Prozess um den Angriff auf Christen begonnen / Auch Schwule und Theatergruppen im Visier der Islamisten

In Indonesiens Hauptstadt Jakarta steht der Anführer der „Islamischen Verteidigerfront“ (FPI) Murhali Barda gemeinsam mit zwölf Anhängern seiner Gruppierung vor Gericht. Im September hatten mutmaßliche FPI-Anhänger in der Großstadt Bekasi östlich von Jakarta einen evangelischen Priester und einen weiteren Christen angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Während des Prozessauftakts am Mittwoch bewachten mehr als 100 Polizisten das Gerichtsgebäude. Staatsanwalt Priorenta erklärte, FPI-Chef Murhali habe den Angriff „provoziert“. Er fordert sieben Jahre Gefängnis für ihn.

Dem Angriff im September war eine monatelange Hetzkampagne der FPI vorausgegangen. Bereits im Juni musste die protestantische Gemeinde ihre Kirche im Stadtteil Pondok Timur Indah schließen. Zuvor hatten islamistische Hardliner gegen die Kirche in dem Viertel protestiert. Die Polizei in Bekasi wurde dafür kritisiert, dass sie nicht noch mehr Mitglieder der FPI festgenommen hat, die hinter einer ganzen Reihe von Bedrohungen und Angriffen auf Vertreter religiöser Minderheiten stehen soll.

Der Angriff vom September war nur eine von etlichen Attacken auf religiöse Minderheiten durch islamistische Gruppen. Erst vor rund zwei Wochen erzwangen rund 200 Anhänger der FPI und anderer Islamisten-Gruppen das Ende eines Gottesdienstes in der Stadt Bandung. Vor wenigen Monaten hatte die FPI Schlagzeilen gemacht, als sie die Proteste für die Festnahme des Chefredakteurs der indonesischen, sehr zurückhaltenden Ausgabe des Playboy-Magazins anführte. Schließlich wurde er tatsächlich in Haft genommen. In Jakarta stürmten FPI-Anhänger Asiens größtes homosexuelles Filmfestival und erzwangen ein Ende der Veranstaltung. Im javanischen Hinterland haben in den vergangenen Monaten Anhänger verschiedener islamistischer Gruppen mehrfach traditionelle „Wayang“-Schattenspielaufführungen angegriffen. Sie sehen in den Schattenspielen, die seit jeher integraler Teil der javanischen Kultur sind, einen Verstoß gegen islamisches Recht.

Die FPI versteht sich als „Moralpolizei“ und behauptet, im gesamten Land 15 Millionen Anhänger zu haben. Zu den Angriffszielen zählen Prostituierte, Glücksspiele, liberale Muslime, evangelikale Christen und der Verkauf von Alkohol. Ihren selbsternannten Kampf bezeichnet die Gruppierung offen als „Dschihad“.

Die islamistische Gewalt trifft Indonesien in seinen Grundfesten. Denn das Land ist als bevölkerungsreichster islamischer Staat der Welt stolz auf seine kulturelle und religiöse Vielfalt. Zwar sind mehr als 80 Prozent der rund 240 Millionen Einwohner der Landes Muslime. Doch Indonesiens Islam ist durchsetzt von Traditionen aus vorislamischer Zeit und von großer Toleranz geprägt.

Jedoch verschärfen sich durch die neoliberale Modernisierung des Landes die sozialen Kontraste. Durch das rasante Wachstum vor allem seit Beginn der 90er Jahre ist vor allem in den Städten eine neue kaufkräftige Mittelschicht entstanden. In den Slums der Millionenstädte und auf dem Land nimmt die Zahl derer, die sich von der Modernisierung ausgeschlossen fühlen, hingegen stark zu. Hier finden die Islamisten-Gruppen mit ihrer vermeintlich „egalitären“ Botschaft ihre Anhänger: Frustrierte junge Männer, deren Wut die religiösen Gruppen für sich nutzen.

Dabei fällt auf, wie wenig die Politik in diesen Tagen gegen die religiöse Gewalt unternimmt. Präsident Susilo Bambang Yudhoyonos Regierungskoalition ist auf die betont religiöse „Prosperous Justice Party“ angewiesen. Einige Beobachter vermuten zudem, dass die Armee insgeheim einige islamistische Gruppen unterstützt, um sich auf diesem Weg verlorenen Einfluss zurückzuholen. Nach dem Sturz des Suharto-Regimes 1998 hat sich Indonesiens Oberschicht beinahe geschlossen gegen die Armee gestellt und bis heute verhindert, dass die Generäle erneut nach der Macht greifen konnten.

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