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Staatskrise: Ukraine bereitet sich auf das Schlimmste vor

Die Ukraine steht am Rande innerer Unruhen. Tausende präsidententreue Soldaten haben sich in Richtung Kiew in Bewegung gesetzt und damit die Angst vor Ausschreitungen geschürt.

Kiew/Moskau - Die jüngsten innerukrainischen Drohgebärden erinnern an die Tage der Orangenen Revolution 2004. Damals herrschte wie heute Angst vor Auseinandersetzungen in den bewaffneten Einheiten der Staatsmacht. Meldungen vom Anrücken tausender Elitekämpfer auf Kiew heizen nun wieder die Stimmung an. An dieser Front standen sich schon damals die beiden Viktors gegenüber - Juschtschenko und Janukowitsch.

Im Spätherbst 2004 einigten sich die Kontrahenten friedlich auf eine Verfassungsreform und eine Machtaufteilung zwischen Präsident, Regierung und Parlament. Doch zum Leidwesen der Ukraine kam der Verfassungskompromiss bis heute nicht zu Stande. Seit der Orangenen Revolution brennt in der Ukraine ein Feuer der politischen Zwietracht, das mal vor sich hin schwelt und dann wieder aufflammt.

Neue Qualität des Konflikts

Die Tumulte um die Besetzung der Generalstaatsanwaltschaft bedeuten jedoch selbst für die krisengeschüttelte Republik eine neue Qualität des Konfliktes. Zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine kam es zu offener Gewalt, das heißt Prügeleien, zwischen Truppen der Staatsmacht, die von jeweils einer der Konfliktparteien ihre Befehle erhalten. Geheimdienst und Armee sollen eher zum prowestlichen Präsidenten Juschtschenko halten, während die Polizeitruppen des Innenministeriums bislang im Ruf stehen, überwiegend dem von der Ostukraine unterstützten Regierungschef Janukowitsch treu ergeben zu sein.

In den Machtzentren der Politik laufen nicht weniger gefährliche Prozesse ab, die die fortgesetzten Verhandlungen zwischen den Kontrahenten begleiten. Präsident Juschtschenko berief in den vergangenen Tagen einflussreiche Gebietsgouverneure in den Nationalen Sicherheitsrat. Beobachter werten dies als Vorbereitung auf eine Ersatzregierung, mit der bei Bedarf das Kabinett von Janukowitsch entmachtet werden könnte.

Auch Janukowitsch hat sein Team mit Hardlinern verstärkt. Ein Paukenschlag war die Ernennung des früheren Verteidigungsministers Alexander Kusmuk zu seinem für die nationale Sicherheit zuständigen Stellvertreter. Kusmuk ist ein Verwandter des früheren Präsidenten Leonid Kutschma mit noch immer engen Kontakten zur Generalität. Er könnte ein Gegengewicht gegen den von Juschtschenko eingesetzten Verteidigungsminister Anatoli Grizenko bilden, der als Zivilist in den Streitkräften bis heute einen schweren Stand hat.

Gefahr einer Parallelherrschaft

Immer deutlicher zeichnet sich die Gefahr einer Parallelherrschaft in dem auch regional in Ost und West gespaltenen Land ab. Viele politische Institutionen sind ohnehin gelähmt: Das Parlament war vor zwei Monaten von Juschtschenko aufgelöst worden und tagt dennoch in einer Rumpfbesetzung weiter. Das Verfassungsgericht, das eigentlich über die Rechtmäßigkeit der Parlamentsauflösung und über Neuwahlen entscheiden soll, ist arbeitsunfähig, weil ständig Richter abberufen werden oder sich krankmelden. Die Regierung, in der einige Minister vom Präsidenten direkt ernannt werden, ist in sich zerstritten.

"Die Politiker haben das Land an den Rand von inneren Unruhen gebracht", warnte die ukrainische Wochenzeitung "Serkalo Nedeli". Sollte in den Auseinandersetzungen der Sicherheitskräfte auch nur ein einziger Schuss fallen, dürfte dies das Ende der ukrainischen Integrationspläne in Richtung Europa bedeuten. Das träfe nicht nur Juschtschenko hart. Auch Janukowitsch ist nicht zuletzt wegen seiner Sponsoren aus der Schwerindustrie mittlerweile viel stärker am Westen orientiert, als man es in Moskau wahrhaben will. (Von Stefan Voß, dpa)

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