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Politik: Stadt sucht Haupt

Von Hermann Rudolph

Wie passt Berlin in die Republik? Die Hauptstadt in einen Bundesstaat? Das ist die „neue BerlinFrage“, Kurt Biedenkopf hat sie ausgerufen, schon vor einiger Zeit. Womit klar ist, dass es nicht mehr ums Überleben dieser Stadt geht, wie bei der alten Berlin-Frage in den Zeiten von Kaltem Krieg und deutscher Teilung. Doch um ihre Zukunft und ein bisschen auch um die der Republik geht es schon. Denn wenn der Streit um Berlin und die Frage, ob die Hauptstadt ins Grundgesetz kommen soll, etwas verdeutlicht, dann dies: Vierzehn Jahre nach der Vereinigung, dreizehn Jahre nach der Hauptstadt-Entscheidung ist zwar die Republik unübersehbar in Berlin angekommen. Aber die Hauptstadt Berlin noch nicht in der Republik. Jedenfalls – man braucht nur den Finger in die politische Luft zu halten, um es zu spüren – nicht so richtig.

Es ist ja auch ein schwieriges Kapitel, schon weil die Bundesrepublik mit einer Hauptstadt kaum Erfahrungen hat. Weder die alte Rolle Berlins vor 1945 noch das Verhältnis der alten Bundesrepublik zu Bonn, das doch eher die politische Geschäftstelle der Republik war, können dafür das Muster abgeben. Auch deshalb muss Berlin als Hauptstadt neu erfunden werden. Außerdem kann eine Stadt, die ein Land ist – notabene: ein ziemlich kleines, strukturschwaches, armes – schwerlich für das Ganze der Republik einstehen, weder nach innen noch nach außen. Andererseits kann sich das föderale Deutschland, fixiert auf seine hoch entwickelte Gleichgewichts- und Ausgleichskultur, bei der keiner sich über andere erheben darf, eine Hauptstadt nur als Bundesland unter anderen vorstellen. Allenfalls gesteht man ihr einen hauptstädtischen Unkosten-Beitrag zu, für den dann am besten der Bund aufkommen soll.

Bislang hat die Politik, quer durch die Parteien, die Hauptstadt-Frage links liegen lassen, frei nach dem Motto: Berlin hat die Hauptstadt, nun soll es nicht weiter mit Forderungen kommen. Tatsächlich hat es Berlin auch nicht viel weiter gebracht. Dabei müsste die Stadt doch am ehesten Interesse an einer Lösung haben. Doch statt eigene Überlegungen zu entwickeln, hat sie mit ihrem fantasielosen Auftreten den Argwohn genährt, dass sie nur ans Geld der anderen will. Selbst der richtige Gedanke eines Grundgesetz-Artikels – spät genug in die Debatte gebracht – zog diesen Klumpfuß hinter sich her. Man muss fürchten, Berlin lebe immer noch in dem Irrglauben, die Hauptstadt sei eine Bringschuld, die die übrige Bundesrepublik auf dem Altar ihrer Vorzüglichkeit zu entrichten habe.

Aber die Hauptstadt ist eine Denk- und Konzept-Aufgabe ersten Ranges – und zwar für die ganze, hauptstadtentwöhnte Bundesrepublik. Dafür ist erforderlich, dass die Hauptstadt-Debatte die Gräben des Bund-Berlin-Länder-Stellungskrieges verlässt und die Höhe ihrer wirklichen Bedeutung gewinnt. Denn es geht bei der Gestaltung des Verhältnisses von Berlin und Bundesrepublik keineswegs nur um eine Berlin-Hilfe neuerer Art, sondern um einen wichtigen Beitrag zur Inneneinrichtung der Bundesrepublik. Soll die Hauptstadt eine Art neue BundesStadt – im wörtlichen Sinne – sein, also vor allem vom Bund getragen werden? Oder eine föderale Hauptstadt, an der Bund und Länder praktischen Anteil nehmen und Verantwortung wahrnehmen? Am Ende wird man vielleicht nicht um eine anspruchsvolle verfassungspolitische Anstrengung herumkommen. Ihr Ziel wäre ein Status für Berlin, der Hauptstadt und Bundesstaat miteinander vereinbar macht – ein ehrgeiziges, bisher so nirgendwo praktiziertes Unterfangen.

Da hätten allerdings viele über ihren Schatten zu springen: die Länder, weil sie Berlin, neben dem obligaten München-Mainz-e-tutti-quanti-Stolz, auch als ihre Hauptstadt annehmen müssten, Berlin, weil es nicht mehr Herr im eigenen Hause wäre. Denn als Hauptstadt gehört Berlin nicht mehr nur sich selbst, sondern allen Deutschen. Schließlich: Erforderlich ist ein Prozess der Bewusstseinsbildung, in dem die Bundesrepublik sich darüber klar wird, was sie von ihrer Hauptstadt erwartet. Was heißt: wie sie sich als Staat und Nation begreift.

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