zum Hauptinhalt

Politik: Stahl und Zement belasten das Klima

Berlin will kostenlose Zertifikate für Industrie, Paris Importzölle / WWF: Keine Wettbewerbsnachteile

Paris/Berlin - Angesichts der Rekordpreise von Grundnahrungsmitteln deutet sich ein Kurswechsel bei der Förderung von Biokraftstoffen in der Europäischen Union an. Beim Treffen der EU-Energieminister am Samstag in Paris zeichnete sich eine Änderung des Ziels ab, den Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor bis 2020 EU-weit auf zehn Prozent zu erhöhen. Dies solle sich künftig nicht nur auf Biosprit, sondern auch auf Elektroautos beziehen, sagte der Ratsvorsitzende, der französische Umweltminister Jean-Louis Borloo. Die Verwendung von Mais oder Weizen zur Herstellung von Biokraftstoffen ist umstritten, da sie für einen großen Teil der Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln verantwortlich gemacht wird. Zudem führt der Anbau von Biokraftstoffen anderswo zur Abholzung von Regenwäldern. Nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur müsste die EU 2020 etwa zwei Drittel des Biosprits importieren.

Doch nicht nur über den Biosprit wird in der EU gestritten. Beim unmittelbar vor dem Energieministertreffen abgehaltenen Umweltministertreffen kämpften sieben osteuropäische Staaten um einen höheren Anteil an den Einnahmen aus dem Emissionshandel. Die reicheren EU-Staaten hatten angeboten, rund zehn Prozent der Einnahmen aus der Versteigerung der Kohlendioxid-Zertifikate im Emissionshandel für Umweltinvestitionen in sieben neuen EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung zu stellen. Die Osteuropäer verlangen jedoch 20 Prozent.

Über den Emissionshandel und die Frage, wie viele CO2-Zertifikate von den Unternehmen ersteigert werden müssen, gibt es Streit zwischen Frankreich und Deutschland. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass die europäische Industrie von 2013 an zwei Drittel und von 2020 an alle Verschmutzungsrechte ersteigern soll. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte in Frankreich: „Ohne Ausnahmen für die Industrie ist das Paket mit uns nicht zu machen.“ Deutschland will durchsetzen, dass energieintensive Industrien, wie etwa Stahl oder Zement, ihre Emissionsrechte weiterhin kostenlos zugeteilt bekommen. Begründet wird das mit der Furcht, sie könnten Nachteile bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erleiden. Frankreich will der Industrie dagegen mit Importzöllen helfen, die Gabriel ablehnt, weil er einen „Handelskrieg“ mit China befürchtet. Dem Vorschlag, den Konflikt aus dem Gesamtpaket herauszunehmen, verweigerte sich Gabriel. Die EU-Kommission wollte bis 2010 prüfen, welche Industrien tatsächlich Wettbewerbsnachteile hätten.

Die Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) hat nun in einem dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegenden Papier Zweifel an der These der Wettbewerbsnachteile geäußert. Das Forschungsnetzwerk Climate Strategies an der Universität Cambridge hat beispielsweise herausgefunden, dass von 159 Sektoren, die im EU-Emissionshandel vertreten sind, lediglich 23 „nicht vernachlässigbare“ Kostenfolgen hätte – in einer Größenordnung von etwa einem Prozent. Juliette de Grandpré und Mandy Schoßig vom WWF sind nach Sichtung der Forschungsliteratur der Überzeugung, „dass hochgradig energieintensive Industrien im Allgemeinen keinem sonderlich starken internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind“. Sie belegen ihre These mit der Zement- und mit der Stahlindustrie.

Die zehn größten Zementkonzerne der Welt, die meisten seien europäische Firmen, kontrollierten 70 Prozent des Weltmarktes. Die EU führe lediglich acht Prozent ihres Zementbedarfs aus Ländern außerhalb der EU ein. Die Zementpreise stehen nach einer Untersuchung des europäischen Statistikamts Eurostat in „keiner Beziehung zu den Preisen außerhalb der EU“. Selbst innerhalb der EU ist die Preisspanne beträchtlich: In Frankreich und Großbritannien kostet die Tonne Zement 110 US-Dollar, in Deutschland nur 60 Dollar. China wiederum besteuert Zementexporte, weshalb dieser in der EU nicht wettbewerbsfähig wäre. Die Gewinnspannen der Zementbranche in der EU liegen zwischen 25 und 30 Prozent, während der weltweite Schnitt bei zehn Prozent liegt.

Zur Stahlindustrie vermerken die beiden WWF-Expertinnen, dass die Hälfte des in der EU erzeugten Stahls aus Schrott produziert wird. Diese Werke an andere Produktionsstätten zu verlagern, würde sich kaum rechnen. Obwohl gerade die Stahlindustrie über die Gefährdung ihrer Wettbewerbsfähigkeit klagt, wickelt sie 80 Prozent ihres Geschäfts in der EU ab. Lediglich 20 Prozent des Stahls wird exportiert. Genauso viel wird importiert, obwohl die Produktionskosten in Brasilien oder Russland rund 40 Prozent unter denen in der EU liegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false