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Politik: Stalin war überall und unsterblich

Zu Weltruhm als Schriftsteller gelangte Anatoli Rybakow (1911-1998) mit seinem autobiografisch geprägten Roman "Die Kinder vom Arbat", der 1987 im Zuge der Perestrojka in der UdSSR erschien und gerade recht kam: Traf er doch den damaligen Geist des Aufbruchs, weil er nach den langen Jahren des "Stillstandes" der Breschnew-Zeit mit der Person Stalins und dem Stalinismus schonungslos abrechnete. Die nun in deutscher Übersetzung beim Aufbau-Verlag erschienenen Memoiren sind aber keine reine Künstlerautobiografie.

Zu Weltruhm als Schriftsteller gelangte Anatoli Rybakow (1911-1998) mit seinem autobiografisch geprägten Roman "Die Kinder vom Arbat", der 1987 im Zuge der Perestrojka in der UdSSR erschien und gerade recht kam: Traf er doch den damaligen Geist des Aufbruchs, weil er nach den langen Jahren des "Stillstandes" der Breschnew-Zeit mit der Person Stalins und dem Stalinismus schonungslos abrechnete. Die nun in deutscher Übersetzung beim Aufbau-Verlag erschienenen Memoiren sind aber keine reine Künstlerautobiografie.

Rybakow gibt einen aufschlussreichen Einblick in die Mechanismen des staatsoffiziellen sowjetischen Literaturbetriebs, in das Geflecht von Zensur, Selbstzensur und parteiamtlicher Politisierung von Kunst. Aber seine Lebensbeschreibung spiegelt auch die wichtigen Etappen der politischen Geschichte der UdSSR. Dazu zählen die Vorrevolutionszeit im ukrainisch-jüdischen Dorfmilieu und seine Jugend im revolutionären Moskau der 20er Jahre. Die Zeit, in der Stalin mit der so genannten "trotzkistischen Opposition" abrechnete.

Was Rybakows Buch auszeichnet, ist die Sicht des Stalinismus-Opfers. Diese Perspektive zeigt die tiefe Verwurzelung des Stalinismus in der Mentalität der Menschen - bis hin zu den Reformern der 80er Jahre um Gorbatschow herum. Aufschlussreich ist die vom Autor geschilderte persönliche Unterredung mit Jakowlew, damals enger Berater des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, dem er vom Druck seines Buches "Arbat" überzeugen möchte. Denn neben einer allzu freizügigen Darstellung von Sex stört den Reformer vor allem, dass der Roman trotz berechtigter Stalin-Kritik zu wenig dessen Leistungen als Schöpfer eines "starken Industriestaats" berücksichtige.

Zu den Höhepunkten des Buchs zählt neben den vom Autor beschriebenen Massenverhaftungen und Verfolgungsparanoia der 30er Jahre seine sehr persönliche Ansicht der Gorbatschow-Ära und ihres Protagonisten. Dieser ist für Rybakow trotz nicht zu leugnender Leistungen ein opportunistischer Wendehals, der die Ideale des Kommunismus über Bord geworfen habe, um seine Macht zu sichern.

Rybakow stimmt also nicht in den Gorbi-Jubelchor ein. Vielmehr erinnert er daran, dass es Gorbatschow war, der 1986 in einer Politbürositzung junge systemkritische Intellektuelle als "jegliches Geschmeiß" bezeichnete und sich dafür aussprach, gegen sie vorzugehen.

Gerald Glaubitz

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