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© Jochen Zick

Stammzellenforschung: Mit Embryonen oder nicht?

Nach jahrelanger Diskussion ist es heute soweit: Der Bundestag entscheidet, wie es in der Stammzellforschung weitergehen soll. Vier Anträge stehen dabei zur Abstimmung, die von den Fraktionen freigegeben wurde.

Der Tag der Entscheidung wurde mehrfach verschoben, doch nun ist es so weit: Der Bundestag wird an diesem Freitag in einer namentlichen Abstimmung über eine Änderung des Stammzellgesetzes aus dem Jahr 2002 entscheiden. Vier fraktionsübergreifende Gruppenanträge liegen dem Parlament vor. Das große Schlag- und Reizwort der Diskussion um die Stammzellforschung dürfte bei der heutigen Debatte einmal mehr lauten: Stichtagsregelung.

Auch wenn der Begriff „adulte“ Stammzellen bei dieser Gelegenheit im Bundestag häufiger fallen wird: Die aus Körpergewebe von Erwachsenen oder Kindern gewonnenen Stammzellen, die heute schon vereinzelt zur Therapie eingesetzt werden, sind nicht das Thema. Entschieden wird vielmehr über Forschung mit den wesentlich vielseitigeren embryonalen Stammzellen. Sie werden aus Embryonen gewonnen, die im Rahmen der modernen Fortpflanzungsmedizin entstanden sind, später aber nicht mehr gebraucht werden. Das Problem: Bei der Herstellung der Zelllinien werden die Embryonen zerstört. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz die Herstellung solcher „überzähliger“ Embryonen, in Einzelfällen kommt es dennoch dazu.

Nach der geltenden gesetzlichen Regelung dürfen deutsche Forscher mit menschlichen embryonalen Stammzellen allenfalls arbeiten, wenn die Zelllinien vor dem Stichtag 1. 1. 2002 im Ausland hergestellt wurden. Dadurch, dass der Stichtag schon bei der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2002 in der Vergangenheit lag, sollte vermieden werden, dass von der Bundesrepublik ein Anreiz zur Herstellung neuer menschlicher embryonaler Stammzelllinien in anderen Ländern ausgeht.

Forscher beklagen sich über die restrektiven Regelungen

Inzwischen sind von der Genehmigungsbehörde beim Robert-Koch-Institut und der Zentralen Ethik- Kommission für Stammzellforschung auf der Grundlage des Gesetzes 28 Forschungsanträge genehmigt worden. Forscher, Forschungsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und auch medizinische Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin beklagen jedoch, dass die Arbeit deutscher Wissenschaftler unter der restriktiven Regelung aus zwei Gründen leide: Es besteht Angst vor Kriminalisierung, zumindest aber erhebliche Rechtsunsicherheit bei internationalen Kooperationen, in denen jüngere, in Deutschland nicht zugelassene Zelllinien zum Einsatz kommen. Zudem gelten die älteren Zelllinien für einige Zwecke als unbrauchbar, weil sie mit tierischen Zellen verunreinigt sind, die zu ihrer Erzeugung heute nicht mehr erforderlich sind.

Der am radikalsten „forschungsfreundliche“ der vier Anträge, die nun zur Abstimmung stehen, plädiert vor diesem Hintergrund für die ersatzlose Streichung des Stichtages und damit für eine weitgehende Liberalisierung der Stammzellforschung in Deutschland. Automatisch entfiele bei dieser Lösung das Problem, dass sich deutsche Forscher strafbar machen, wenn sie mit Kollegen anderer Länder zusammen an Zelllinien neueren Datums forschen. Allerdings bleibt es weiter verboten, in Deutschland selbst Linien von menschlichen embryonalen Stammzellen herzustellen, denn das stünde im Widerspruch zum Embryonenschutzgesetz. Der „Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin“ wurde von Ulrike Flach (FDP), Katherina Reiche (CDU) und Rolf Stöckel (SPD) vorgelegt.

Ein diametral entgegengesetzter, aber nicht weniger radikaler Antrag fordert das vollständige Verbot der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen in Deutschland und erstrebt damit die Rücknahme des Kompromisses von 2002. Denn das Verbot soll auch für Forschung mit Zelllinien gelten, die vor dem Stichtag am 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Somit wären laufende Forschungsprojekte betroffen. Die Verfechter dieser Position argumentieren, Hoffnungen auf neue Therapien verknüpften sich derzeit ohnehin vor allem mit den ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen. Antragsteller sind die Unionsabgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött und Maria Eichhorn.

Schavan: Wir brauchen das Wissen über die embryonalen Stammzellen

Ein weiterer Antrag, der von den Abgeordneten Priska Hinz (Grüne), Julia Klöckner (CDU) und Herta Däubler-Gmelin (SPD) eingebracht wurde, sieht eine Beibehaltung des geltenden Stichtages vor. Die Antragsteller befürworten jedoch die Straffreiheit von Forschern, die an ausländischen Forschungsvorhaben teilnehmen. Damit soll mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. Strafbar solle die Verwendung von neueren Stammzelllinien nur sein, wenn diese sich im Inland befinden.

Ein von René Röspel (SPD), Ilse Aigner (CSU) und Jörg Tauss (SPD) initiierter Antrag sieht eine einmalige Stichtagsverschiebung auf den 1. Mai 2007 vor. Die Abgeordneten argumentieren folgendermaßen: So werde das Gesetz an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und an die Anforderungen der Forscher angepasst, die nun mit den besseren Zelllinien arbeiten und dadurch nicht zuletzt international konkurrenzfähig bleiben können. Der Schutzmechanismus des geltenden Stammzellgesetzes bleibe dennoch bestehen, denn es werde nach wie vor gewährleistet, dass von Deutschland kein Anreiz zur Gewinnung embryonaler Stammzellen oder zur Erzeugung von Embryonen zu diesem Zweck ausgehe. Für eine solche einmalige Verschiebung des Stichtages plädiert auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU). „Wir brauchen das Wissen über die embryonalen Stammzellen, um eines Tages auf sie verzichten zu können“, sagt Schavan.

Adelheid Müller-Lissner

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