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Stammzellen

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Stammzellengesetz: Von Anfang an

Die Debatte im Bundestag über die Zulassung neuer Stammzelllinien war geprägt von Sachlichkeit. Vielen Parlamentsmitgliedern fiel die Entscheidung nicht leicht.

Von Robert Birnbaum

Man kann das öfter mal erleben im Bundestag, dass der erste Satz den Ton einer ganzen Debatte bestimmt. Am Freitagmorgen um kurz nach neun tritt Annette Schavan als Erste ans Rednerpult. „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ebenso ethische Überzeugungen wie wir“, sagt die Bundesforschungsministerin. Im Plenarsaal klatschen die ersten Beifall. Und wirklich, genauso wird es weitergehen in den nächsten zwei Stunden, in denen der Bundestag noch ein letztes Mal über das Stammzellgesetz debattiert: fünf Anträge, zwei Dutzend Redner, wenig Schärfen.

Im Parlament fällt vielen die Entscheidung ja auch nicht leicht. 2002 hatte der Bundestag das erste Stammzellgesetz beschlossen – die Stichtagsregelung, nach der deutsche Forscher nur mit embryonalen Stammzelllinien experimentieren dürfen, die im Ausland und vor dem 1. Januar 2002 aus menschlichen Embryos gewonnen worden sind. Doch viele Forscher finden dieses Material inzwischen zu alt, ja unbrauchbar. Die Bitte um Nachbesserung löste im Bundestag eine Kettenreaktion aus. Die fünf Anträge stellten alle Grundsatzfragen wieder zur Debatte.

Freilich war von vornherein klar: Weder die Anhänger einer freien Forschung noch die Verfechter eines kompletten Verbots, an Embryozellen zu forschen, hatten Aussicht auf Mehrheit. Die Entscheidung würde zwischen Festhalten am alten und dem 1. Mai 2007 als neuem Stichtag fallen. Für die Anhänger der Extrempositionen war die Debatte also nur noch Gelegenheit, ihre Haltung erneut darzulegen. „Ein Mensch ist ein Mensch, und eine Zelllinie ist eine Zelllinie“, sagt der CDU-Mann Peter Hintze – wer beides gleichsetze, entscheide sich gegen Heilungsmöglichkeiten und damit gegen das Recht von Kranken auf Leben. „Jeder Kompromiss bringt uns auf eine schiefe Ebene“, hält der Grüne Volker Beck dagegen – auch die Zelle, aus der ein ganzer Mensch werden könne, sei Mensch und dürfe nie darum zum Zweck werden.

Zwischen solchen Glaubenssätzen ist ein Kompromiss im Grunde unmöglich. Den jeweils anderen mit Argumenten zu überzeugen freilich auch: Dass embryonale Stammzellforschung bisher keine einzige Therapie hervorgebracht hat, nimmt der CDU-Mann Hubert Hüppe als Beleg dafür, dass ein komplettes Verbot dieser Forschung richtig wäre. Für Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) beweist das gar nichts oder nur das Gegenteil: Die vom Grundgesetz gewährte Forschungsfreiheit könne man doch nicht daran orientieren, ob die Forschung erfolgreich sei oder nicht.

Doch das sind letztlich Randgefechte. Die eigentliche Auseinandersetzung dieses Tages lautet: Stichtag lassen – oder verschieben. „In der Logik des bestehenden Gesetzes“ liege die Verschiebung, argumentieren Schavan und andere: Forschung ermöglichen, aber keine Anreize dafür setzen, dass immer neue Stammzellen aus immer neuen Embryos gewonnen werden. „Eine Verschiebung ist eine dauernde Verschiebung“, hält die Grüne Priska Hinz dagegen. Wenn das Parlament heute gute Gründe dafür sehe, den Stichtag einmal zu verschieben – mit welchen Gründen wolle der Bundestag denn dann das zweite, dritte, vierte Mal die Frist nicht mehr verlängern?

Doch der Widerstand bleibt vergebens. Am Ende wird abgestimmt, vom „schärfsten“ zum „konservativsten“ Antrag. Rund 150 Abgeordnete wollen die Forschung ganz frei geben, rund 100 wollen sie verbieten. Der dritte Antrag wird mit großer Mehrheit angenommen. Der Stichtag ist verschoben.

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