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Politik: Stark genug, vernünftig zu sein

BUSHS WAHLSIEG

Von Malte Lehming

Es ist ein seltsames Volk. Die Amerikaner wissen, dass sie demnächst wohl Krieg führen müssen in einer Umgebung, in der sie verhasst sind wie sonst nirgends. Sie plagt die Angst vor neuen Terroranschlägen. Viele Arbeitsplätze sind unsicher. Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Ein Rekordüberschuss im Haushalt hat sich binnen zweier Jahre in ein gigantisches Defizit verwandelt. Skandalöse Unternehmenspleiten haben den Ruf hochrangiger Kabinettsmitglieder ramponiert. Und dann das! Eine Sensation, ein historischer Wahlausgang, ein überwältigender Sieg für die Republikaner und ihren Präsidenten. Die Zentren der letzten wirklichen Supermacht, Weißes Haus und Kongress, sind nun komplett in konservativer Hand. Die Opposition wurde gedemütigt.

Auch wenn der Slogan gestern im Glückstaumel bis zum Überdruss strapaziert wurde, er ist doch wahr: George W. Bush und seine Partei haben Geschichte geschrieben. Nie zuvor war es den Republikanern gelungen, Mandate im Repräsentantenhaus hinzuzugewinnen, während einer der Ihren Präsident war. Der Hauptgrund für das Novum ist ein Datum – der 11. September. Die Terroranschläge haben das Land verändert. Die Bilder des einstürzenden World Trade Center haben sich tief in die kollektive Psyche eingegraben. Im Vergleich dazu wirken selbst große Sorgen klein. Gegen das Grundgefühl eines andauernden nationalen Notstands kamen die Demokraten mit ihren Themen nicht an. In ruhigen Zeiten kommt erst das Fressen, dann die Moral. In unruhigen Zeiten kommt erst die Sicherheit und dann das Fressen. Die Wähler wollten Stabilität, Verlässlichkeit und maximale Handlungsfreiheit für die Regierung. Sie votierten gegen Blockaden, Reformstau und Parteiengezänk.

Vor allem für Bush ist das Ergebnis ein Triumph. Er hatte die Wahlwerbetrommel gerührt wie keiner vor ihm. Durch unzählige Auftritte konnte er diese Wahlen nationalisieren und zu einem Referendum über seine Person erklären. Seine hohe Popularität half der Partei. Sie hat ihm nun mehr zu verdanken als er ihr. Das unterscheidet den Junior entscheidend vom Vater. Bush Senior hatte sich, nach Golfkrieg und Wiedervereinigung, zu stark als moderater Staatsmann präsentiert und verlor dadurch den Kontakt zur konservativen Basis. Die Moralisten und Americafirst-Advokaten empfanden ihn bald bloß noch als schlechte Kopie ihres Idols Ronald Reagan. Bush Junior hat diese Lektion gelernt. Er ist fest entschlossen, seiner Partei trotz aller außenpolitischen Herausforderungen ideologisch verhaftet zu bleiben.

Belohnt wurde der Präsident auch für seine Art, Politik zu betreiben. Bush hat stets eine klare Agenda, er konzentriert sich auf wenige Ziele, die er mit teilweise erschreckender Vehemenz verfolgt. Die Demokraten hat er damit ein ums andere Mal überrumpelt. Sie gerierten sich, ohne klare Alternativen, lediglich als die anständigeren Republikaner, gewissermaßen als Republikaner mit menschlichem Antlitz. Viele von ihnen haben Bush bei der Steuersenkung und in der Irak-Politik unterstützt. Der Wähler hat sie für diesen Schmusekurs bestraft. Wenn die Opposition bei der nächsten Präsidentschaftswahl überhaupt eine Rolle spielen will, muss sie sich personell erneuern und inhaltlich profilieren. Die Zeit der Überparteilichkeit ist vorbei.

Ist ein Irak-Krieg durch das Wahlergebnis wahrscheinlicher geworden? Nein. Geändert haben sich allenfalls die Nebenmotive. Bush muss keine Härte zeigen, um seinen Haudegen und der Welt etwas zu beweisen, bei der Terminplanung braucht er keine Rücksichten auf Wahlen zu nehmen, der Anreiz, von innenpolitischen Problemen abzulenken, ist schwächer geworden. Das macht die Entscheidung über Krieg oder Frieden für ihn zwar nicht einfacher, aber klarer. Bei der Abwägung der Risiken und Nebenwirkungen kann er sich auf die beiden Grundsatzfragen beschränken. Lässt sich, erstens, ein solcher Krieg mit dem Völkerrecht vereinbaren? Und lässt er sich, zweitens, ohne hohe Opferzahlen gewinnen? Jeder Krieg ist riskant. Bush und seine Partei sind seit gestern auf dem Zenit ihrer Macht. Warum sollten sie diese Macht ohne Not aufs Spiel setzen? Die Demokratie an sich ist schon ein Segen. Zum Glück hat Gott auch noch den Eigennutz erfunden.

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