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Politik: Stasi-Unterlagen: Der Schulmeister und das kleine Mädchen

Ultimaten haben einen Nachteil. Wenn die Frist, die eine Seite setzt, von der anderen ignoriert wird, ist der Eklat perfekt.

Ultimaten haben einen Nachteil. Wenn die Frist, die eine Seite setzt, von der anderen ignoriert wird, ist der Eklat perfekt. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat der Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, per Brief ein Ultimatum gestellt. Bis zum heutigen Montag, 12 Uhr, solle Birthler zusichern, dass sie künftig keine Stasi-Akten über Prominente an Journalisten und Historiker weitergibt. Zuvor hatte das Berliner Verwaltungsgericht die Stasi-Unterlagen von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) gesperrt und Birthlers bisherige Herausgabe-Praxis für rechtswidrig erklärt. Schily sieht sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt, wonach Opferschutz wichtiger ist als die DDR-Aufarbeitung. Doch Birthler will sich nicht unter Druck setzen lassen - weder von einer ersten juristischen Instanz noch von Schily. Der Eklat ist programmiert.

"Es wird keinen Highnoon geben", sagt Behördensprecher Christian Booß in Anspielung auf Schilys Ultimatum bis zur Mittagszeit. Nach Informationen des Tagesspiegel hat Birthler ihrem Kontrahenten einen Brief zurückgeschrieben und darin seine Forderung nach Schließung aller Prominenten-Akten abgelehnt. Birthler will weiterhin Akten von Personen der Zeitgeschichte herausgeben. Allerdings werden Betroffene informiert, wenn Journalisten ihre Unterlagen lesen wollen. Sie können dann Einwände gegen die Veröffentlichung bestimmter Passagen erheben. Das sieht eine behördeninterne Richtlinie vor, mit der Birthler im April den monatelangen Streit mit Schily entschärfen wollte. Nach dem Urteil in Sachen Kohl hat die Auseinandersetzung wieder die alte Schärfe angenommen.

Der Innenminister hat in seinem Brief, der am Wochenende in der Behörde einging, Birthler mit "rechtsaufsichtlichen Maßnahmen" gedroht, falls sie ihre Herausgabe-Praxis nicht umstelle. Da Schily die Rechtsaufsicht über die Behörde inne hat, kann er eine Weisung per Kabinettsbeschluss in die Wege leiten. Doch Schilys Ton stößt auf heftige Kritik. Ein Brief mit einer solchen Drohung sei "mehr als eine Stilfrage", findet nicht nur Behördensprecher Booß.

Auch Befürworter von Schilys Rechtsauffassung mahnen zur Rücksicht. DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die heute in Kroatien lebt, hat für Schilys Methoden wenig Verständnis. "Der Innenminister sollte die Behörde nicht bevormunden", sagte Bohley dem Tagesspiegel, "ebenso wenig sollte die Behörde aber die Opfer bevormunden." Die Bürgerrechtlerin - selbst Abhöropfer der Stasi - kritisiert die Herausgabe-Praxis: "Opferschutz muss vor Täterschutz gehen." Kohl sei Opfer der Stasi, allerdings sei "es verwunderlich, dass er solch ein Geheimnis um seine Abhörprotokolle macht".

Der Streit zwischen Birthler und Schily dürfte heute eskalieren. Birthler hat immerhin zahlreiche Koalitionspolitiker auf ihrer Seite. Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch mahnt, Schily solle aufhören, sich "wie ein Schulmeister gegenüber einem Schulmädchen" zu gebärden. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth und SPD-Fraktionschef Peter Struck raten zur Mäßigung. Und der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel (SPD) regt ein klärendes Gespräch innerhalb der Fraktion an, "auch mit Otto Schily".

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