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Stasiunterlagen-Behörde: Die Kanzlerin im Archiv

Angela Merkel besucht zum ersten Mal die Stasiakten-Behörde. Das Datum scheint mit Bedacht gewählt.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Auf den Tag genau vor 19 Jahren hat Stephan Konopatzky hier irgendwo gestanden, innerlich aufgewühlt, inmitten einer vieltausendköpfigen Menschenmenge, die dem Aufruf des „Neuen Forums“ zu einer Kundgebung an der Stasizentrale in der Berliner Ruschestraße gefolgt ist. Der Druck der Masse erzwingt schließlich die Öffnung der stählernen Tore. Das Ende des monströsen DDR-Geheimdienstes, der ohnehin seit Wochen mit seiner eigenen Abwicklung befasst ist, wird besiegelt. 19 Jahre später erzählt der heutige Mitarbeiter der Stasiunterlagen-Behörde der Bundeskanzlerin von diesem Ereignis. Auch davon, wie er mit vielen anderen im September 1990 dieses Haus noch einmal besetzte, um durchzusetzen, dass die Öffnung der Stasiakten entgegen der Empfehlung westdeutscher Politiker im Einigungungsvertrag verankert wird.

Angela Merkel ist zum ersten Mal in dem noch immer düsteren Bau, der den riesigen Aktenbestand der Stasizentrale beherbergt. Das Datum scheint mit Bedacht gewählt, auch wenn es in diesem 20. Jubiläumsjahr von Mauerfall und friedlicher Revolution einen ganz unrunden Jahrestag markiert. Die Erinnerung droht zu verblassen und die Neigung, die Stasiakten wie gewöhnliches Archivgut zu behandeln, scheint zu wachsen. „Mittelfristig“, so steht es im Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, solle der Aktenbestand in das Bundesarchiv überführt werden. Da lechzen Befürworter wie Gegner des Aktenzugangs nach klärenden Worten der Bundeskanzlerin.

Eine Expertengruppe solle in der kommenden Legislaturperiode darüber befinden, wann und unter welchen Umständen die Stasiunterlagen-Behörde aufgelöst werden kann, sagt sie nach ihrem Rundgang. Die Öffnung der Akten habe zur Versöhnung, nicht zur Spaltung beigetragen, betont sie. „Wissen ist allemal besser als Nichtwissen“, auch wenn es für manche um bittere Erkenntnisse gehe. Der spezielle Zugang zu den Akten müsse noch „viele Jahre andauern“. Die Möglichkeit zur Akteneinsicht bleibe nach wie vor aktuell: Viele Menschen bräuchten einen gewissen zeitlichen Abstand, ehe sie sich zu diesem Schritt entschieden.

Behördenmitarbeiter bestätigen das: Die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht – im vergangenen Jahr mehr als 87 000 – stiegen immer dann an, wenn es wieder eine Debatte um die Schließung der Akten gebe. Auch Filme wie „Das Leben der Anderen“ oder ähnliche tragen zu Ausschlägen nach oben bei.

Merkels Parteifreund, der frühere DDR-Bürgerrechtler Arnold Vaatz, plädiert ebenfalls dafür, dass die Menschen weiterhin in ihre Akten schauen können. Aber eine spezielle Behörde, die 100 Millionen Euro pro Jahr koste, sei dafür nicht nötig, sagte er der „Leipziger Volkszeitung“. Das könne auch das Bundesarchiv leisten. 2011, wenn die Regelüberprüfungen auslaufen, solle auch die Stasiunterlagen-Behörde geschlossen werden.

Andere halten dagegen, dass noch rund 80 Prozent der fast 180 aneinandergereihten Aktenkilometer bislang nicht erschlossen sind. Dazu brauche es auf lange Sicht den Sachverstand der Behörde. Nicht zu vergessen die nahezu 16 000 Säcke mit Schnipseln von Akten, die von der Stasi in der Umbruchszeit hektisch zerrissen wurden. Auch sie warten noch auf ihre Rekonstruktion. Das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik entwickelt derzeit mit Mitteln des Bundes ein Pilotprojekt für die computergestützte Wiederherstellung dieser Akten.

Auf ihrem Rundgang konnte sich die Kanzlerin auch solche „Puzzle“-Seiten – allerdings noch von Hand zusammengesetzte – ansehen. Es sind Unterlagen aus dem 70 Bände umfassenden Aktenkonvolut, das über Wolf Biermann angelegt wurde, darunter ein „Zersetzungsplan“, mit dem die Stasi dem unbequemen Liedermacher das Leben schwer machte.

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