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Statistik des Medizinischen Dienstes: Gutachter fordern Meldepflicht für Behandlungsfehler

Bei mehr als 4000 Patientenbeschwerden wiesen Krankenkassen-Gutachter im vergangenen Jahr Behandlungsfehler nach. Das scheint nicht viel. Doch es ist, wegen fehlender Meldepflicht, nur die Spitze eines Eisbergs.

Die Verdachtszahl ist erneut leicht gestiegen, die der Bestätigungen gesunken. In 15.094 Fällen prüften die Medizinischen Dienste der Krankenkassen im vergangenen Jahr, ob Patienten hierzulande Opfer eines Behandlungsfehlers wurden. Das waren 266 mehr Verdachtsgutachten als 2015. In gut jedem vierten Fall – bei 4072 Beschwerden – bestätigte sich die Mutmaßung. 3564 Patienten kamen dadurch nachweisbar zu Schaden – 500 weniger als im Jahr davor. Bei knapp jedem Dritten entstand daraus ein Dauerschaden. 170 Menschen starben nach solchen Behandlungsfehlern. In 134 Fällen waren sie klar die Todesursache.

Gemessen an den mehr als 500 Millionen Behandlungen im vergangenen Jahr – davon 39 Millionen im Krankenhaus – wäre eine derartige Fehlerquote natürlich extrem niedrig. Und manchem Funktionär bot die am Dienstag präsentierte Statistik der Medizinischen Dienste der Kassen (MDK) denn auch Anlass für entsprechende Darstellungen.

Viele Fehler werden gar nicht erkannt oder nicht verfolgt

Man befinde sich „hier im Promillebereich und in internationaler Spitzenposition“, verkündete etwa der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. Doch offenbar hatte er den Gutachtern nicht bis zum Ende zugehört. Bei den aktuellen Zahlen handelt es sich ihnen zufolge nämlich um nicht mehr als „die Spitze eines Eisberges“. Viele Fehler würden gar nicht erkannt. Viele Geschädigte ließen die Sache auf sich beruhen, etwa weil ihnen die Energie oder das Geld zum juristischen Streit fehlt. Andere kontaktierten Ärztekammern. Und die Fälle, bei denen sich Patient mit Mediziner, beziehungsweise der Anwalt mit dem Versicherer, auf Schadenersatz einigen oder diesen vor Gericht erzwingen, tauchen auch in keiner Statistik auf.

Die Daten seien nur punktuell, betonte der Vize-Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes, Stefan Gronemeyer, ausdrücklich. Behandlungsfehler würden in Deutschland „nicht umfassend“ gemeldet. Belastbare Hochrechnungen zur Häufigkeit von Fehlern habe man fast nur aus dem Ausland. Die Gefährdung von Patienten durch Behandlungsfehler lasse sich folglich auch „nicht verlässlich beziffern“.

Vorbild Großbritannien

Das alles sei aus Patientensicht „sehr unbefriedigend“, sagte Gronemeyer. Dringend nötig sei deshalb „eine Meldepflicht für besonders schwerwiegende Behandlungsfehler und vermeidbare unerwünschte Ereignisse“ – wie es sie etwa in Großbritannien gebe.

Die Grünen schlossen sich dieser Forderung an. Es sei völlig unverständlich, dass es hierzulande noch immer kein verbindliches Fehlermeldesystem und auch keine adäquate Erfassung von Behandlungsfehlern gebe, sagte ihre gesundheitspolitische Sprecherin Maria Klein-Schmeink. Es gehe nicht darum, Ärzte und Krankenhäuser an den Pranger zu stellen, sondern um eine Kultur der Fehlervermeidung und des Risikomanagements in der Breite.

Druckgeschwüre sind der häufigste vermeidbare Fehler

Hierzulande würden bislang nicht einmal sogenannte „Never Events“ erfasst, kritisierte der MDK – also Fehler, die keinesfalls passieren sollten. Dazu zählen etwa Körperteil-Verwechslungen bei Operationen, die Gabe falscher Medikamente oder im Bauch vergessenes Chirurgenmaterial. Mit 207 Fällen machten sie 2016 immerhin sieben Prozent aller vom MDK nachgewiesenen Behandlungsfehler aus. Fast die Hälfte davon übrigens: schwerste Druckgeschwüre durch falsche Lagerung im Krankenhaus.

Weitere Beispiele für nachgewiesene Behandlungsfehler listete die Sozialmedizinerin Astrid Zobel auf. Da wurde bei einem Patienten ein sogenannter Gammanagel bei einer Oberschenkelhalsfraktur falsch positioniert - was erhebliche Komplikationen nach sich zog. Bei einem anderen wurde ein Zufallsbefund auf Nierenkrebs nicht weiter abgeklärt, die gefährliche Krankheit dadurch viel zu spät erkannt.

Blutvergiftung wegen eines überdosierten Medikaments

In einem weiteren Fall verletzte ein Arzt bei einer Darmspiegelung mit Polypenentfernung die Darmwand seines Patienten - und unterließ fahrlässigerweise erst mal die nötige Operation. Und durch die Überdosierung eines Medikaments zur Immunsuppression zog sich ein Patient eine Blutvergiftung zu, die er nicht überlebte.

Die meisten Patientenbeschwerden – 33 Prozent – betrafen im vergangenen Jahr Orthopädie und Unfallchirurgie. Zwölf Prozent bezogen sich auf innere Medizin und Allgemeinmedizin, je neun Prozent auf Allgemeinchirurgen und Zahnmediziner, sieben Prozent auf Frauenheilkunde und vier Prozent auf die Pflege.

Die Hälfte der Fehler beruht auf Unterlassung

In rund der Hälfte der bestätigten Fehler wurde eine medizinische Maßnahme nicht (40 Prozent) oder zu spät (elf Prozent) vorgenommen. In 39 Prozent der Fälle bestand der Fehler darin, dass eine notwendige Behandlung nicht korrekt verlief und in zehn Prozent, dass eine falsche Maßnahme ergriffen wurde, bei der von vornherein mehr Schaden als Nutzen zu erwarten war.

Der häufigste nachgewiesene Fehler ereignete sich bei der Wurzelbehandlung von Zähnen (141 Fälle). Es folgen Hüftgelenks-Implantation (115 Fehler), Zahnersatz (93 Fehler) und der Einbau eines künstlichen Kniegelenks (88 Fehler).

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