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Der Stuhl der Kanzlerin blieb leer, der Rest des Haues applaudierte heftig: Peer Steinbrück bei seiner letzten Rede im Bundestag.

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Steinbrücks letzte Rede im Bundestag: "Dies war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn"

Sumpfhühner und Schlauberger. Bevor der Ex-Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat die Politik verlässt, hat Peer Steinbrück noch einige Botschaften an seine Kollegen. Die haben es in sich.

Von Hans Monath

"Dies war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn, vielen Dank" – mit diesen Worten hat der frühere Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Abschied vom Bundestag und damit auch von der aktiven Politik genommen. In seiner letzten Rede vor dem Parlament mahnte Steinbrück am Donnerstag eindringlich, den Zusammenhalt Europas zu bewahren und den Bundestag wieder zum zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung in Deutschland zu machen. Nur so könne der Vormarsch der Populisten aufgehalten werden. Der 69-Jährige, der während seiner langen politischen Karriere als Landesminister, NRW-Ministerpräsident, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD seine Gegner und auch seine eigene Partei oft provoziert hatte, lieferte nicht nur ein weiteres Beispiel seiner Redekunst, sondern schlug auch selbstkritische Töne an. Abgeordnete aller Fraktionen erhoben sich nach der zehnminütigen Rede von ihren Sitzen, um den SPD-Politiker mit großem Beifall zu würdigen. Steinbrück scheidet Ende des Monats nach sieben Jahren aus dem Bundestag aus und will sich künftig um die Helmut-Schmidt-Stiftung kümmern.

Der Ex-Finanzminister ergriff in der Debatte über den "19. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik" nach einer Stunde das Wort. In seiner Rede entwarf er ein historisches Panorama und konstatierte eine "Zeitenwende oder Zäsur" in Europa. Das von dem Historiker Heinrich August Winkler beschriebene "normative Projekt des Westens" habe sich nicht in der Weise durchsetzen können, wie das viele nach der Auflösung der Sowjetunion erwartet hätten, meinte er. Ganz im Gegenteil stehe der Westen "unter Druck – von innen wie von außen".

In diesen Zeiten den Stellenwert der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik herauszustreichen, sei "in der Tat des Schweißes der Edlen wert", sagte Steinbrück, der sich während seiner Laufbahn den Ruf eines selbstbewusst urteilenden und scharf formulierenden Politikers erworben hatte. Deutschland könne anderen Ländern mit seiner Sprache, seiner Kultur und seinen Erfahrungen in der zivilen Lösung von Konflikten "soft power" (zu Deutsch: sanfte Kraft) anbieten. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik könne damit auch der zivilen Krisenprävention dienen.

Europa und der Krümmungsgrad der Salatgurke

Er gehöre "nach der Generation meines Urgroßvaters, meines Großvaters und meines Vaters als 1947 Geborener zu der ersten Generation, die nicht auf den Schlachtfeldern Europas geopfert worden ist", meinte Steinbrück. Das europäische Einigungswerk sei "ein Glücksfall, der jeden Einsatz dafür rechtfertigt, dass es so bleibt". Die Politik müsse deshalb dafür sorgen, "dass dieser wunderbare Kontinent nicht auf den Euro, nicht auf die EZB-Zinspolitik, nicht auf nächtliche Sitzungen des Europäischen Rates, nicht einmal auf den Brexit und schon gar nicht auf den Krümmungsgrad der Salatgurke reduziert wird".

Deutschland habe für die "Selbstbehauptung Europas einen besonderen Beitrag zu leisten und auch einen Preis dafür zu bezahlen – im ureigenen Sinn". Dies müsse den Bürgern "mit Verstand, aber offenbar noch viel mehr Herz" erklärt werden, um sie gegen das Angebot von Populisten oder Chauvinisten immun zu machen. Der Bundestag müsse "der Ort sein, die Bühne liefern, auf der die zentralen Zukunftsfragen debattiert werden – und zwar kontrovers, spannend, laut, leidenschaftlich - und repolitisiert". Nur damit könne wieder Neugier auf Politik geweckt werden. "Tun wir dies nicht, übernehmen diese Debatte sehr dumpfbackige Mitglieder dieser Gesellschaft", warnte der Ex-Minister.

Auch eine Mahnung an seine eigene Partei und seinen Parteichef Sigmar Gabriel brachte Steinbrück unter. Gabriel hatte sich für eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf heutigem Niveau ausgesprochen, das wegen der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren ohne Eingriffe sinken wird. Es sage sich leicht, dass das demnächst absinkende Rentenniveau wieder gesteigert werden müsse, sagte Steinbrück: "Aber ich müsste der Generation meiner Kinder oder jetzt meiner vier Enkelkinder erzählen, wer das denn eines Tages über Steuern, über Arbeitslosen- oder Rentenversicherungsbeiträge bezahlen soll." Gabriel nahm an der Debatte ebenso wenig teil wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Auf der Regierungsbank waren mit dem Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier (Auswärtiges Amt) und dem CDU-Politiker  Thomas de Maiziere (Innenministerium) lediglich zwei Bundesminister vertreten.

Zwei Irrtümer gestand Steinbrück zum Schluss ein. So habe er beim Eintritt in die SPD vor 47 Jahren geglaubt, dass er als Schlauberger in eine Partei von Schlaubergern eintrete. "Inzwischen weiß ich nach einer längeren Lernkurve, dass die Verteilung der Sumpfhühner und Schlauberger in und zwischen den Parteien der Normalverteilung der Bevölkerung entspricht", sagte der Ökonom zur Erheiterung des Plenums. Seine zweite Erkenntnis sei nicht banal, meinte der Ex-Minister weiter: "Ich lernte sehr spät, dass es in der Politik nicht nur darauf ankommt, was man sagt oder was man macht, sondern auch, wie man dabei kuckt." Steinbrück spielte damit offenbar auf den Umstand an, dass während seiner glücklosen SPD-Kanzlerkandidatur im Jahr 2013 auch sein zuweilen grimmiger Gesichtsausdruck mit den nach unten gebogenen Mundwinkeln zum Thema öffentlicher Erörterungen geworden war. Kurz vor der Bundestagswahl hatte sich der Kandidat zudem mit in die Kamera gestrecktem Mittelfinger ("Stinkefinger") für ein Magazin fotografieren lassen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, Steinbrück habe als Landesminister, Ministerpräsident, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat das parlamentarische Leben in Deutschland mehr als ein Vierteljahrhundert lang "maßgeblich mitbestimmt". Weiter meinte er: "Sie haben sich den Widerspruch und gelegentlich das Misstrauen Ihrer eigenen Parteifreunde ebenso hart erarbeitet wie den Respekt Ihrer Gegner."  

Tatsächlich war das Verhältnis Steinbrücks zur SPD häufig von schweren Spannungen bestimmt. Der SPD-Politiker habe als Bundesfinanzminister auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise gemeinsam mit der Kanzlerin "einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise und zur Beruhigung der Öffentlichkeit" geleistet, meinte Lammert. Merkel und Steinbrück hatten im Oktober 2008 in einem viel beachteten Auftritt vor der Presse die Spareinlagen für sicher erklärt. Der Parlamentspräsident schloss mit den Worten: "Falls Sie weiterhin Reden halten oder Bücher schreiben, reden Sie gut über uns!“

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