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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Büro im Schloss Bellevue im Gespräch mit SPD-Chef Martin Schulz.

© Jesco Denzel/dpa

Steinmeiers Rolle bei der Regierungsbildung: Der Wächter im Bellevue

Kommt es zu einer großen Koalition, ist es auch der Bundespräsident, der das Land vor einer großen Krise bewahrt hat. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Wenn diese Koalition etwas wird, dieser Pakt der Frustrierten, Zurückgewiesenen und der Besserwisser, dann liegt es an einem, der bei keinem der Gespräche dabei gewesen ist. An einem, der nicht bereit war, die These von der unheilbar zerrütteten Beziehung der früheren Regierungspartner zu akzeptieren. Wenn Deutschland wieder eine Regierung bekommt und keinen Wahlkampf durchstehen muss, der wahrscheinlich verletzend und bitter gewesen wäre, dann ist dies das Verdienst des Frank-Walter Steinmeier.

Steinmeier tat, was noch kein Bundespräsident vor ihm tun musste und wozu vermutlich auch nur ein oder zwei seiner Vorgänger befähigt gewesen wären, hätte sich eine vergleichbare Situation jemals ergeben. Die Rolle des Staatsoberhauptes im Vorfeld einer Regierungsbildung so extensiv zu interpretieren und dabei dennoch immer im Rahmen der Verfassungskompetenzen des Staatsoberhauptes zu bleiben, dazu bedurfte es schon eines besonderen Typus des Politikers: eines, in dem sich langjährige Erfahrung im parlamentarischen Geschäft mit der in hohen Regierungsämtern erworbenen Routine und tiefgehender Rechtskenntnis verbindet. Frank-Walter Steinmeier, der öffentlich eher dröge denn durch politische Leidenschaften entflammbar wirkende Bundespräsident, hat die im Bundestag vertretenen Parteien ins Gebet genommen. Bei einem protestantisch-reformierten Christen aus dem Lippischen wie ihm ist dieser Begriff der treffende.

Als in der Nacht zum 20. November die Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition scheiterten, weil der Freidemokrat Christian Lindner zur Wahrung seines eigenen und des Profils seiner Partei meinte aussteigen zu müssen, war die politische Landschaft der Bundesrepublik plötzlich so verschattet, wie der australische Historiker Christopher Clark Europa am Vorabend des Ersten Weltkrieges beschrieben hat. „Die Schlafwandler“ nannte er sein Buch über die Lähmung der damaligen Akteure, die in den Kettenhemden des „Das machen wir nicht“ und des „Das ziehen wir jetzt durch“ wie Automaten in einem Tunnel nur noch einen Weg kannten. Dass er in den Abgrund führen könnte, bedachten die meisten von ihnen nicht.

Frank-Walter Steinmeier sah diese Gefahr sehr wohl. Neuwahlen würden, das als Einziges war ziemlich sicher, radikale Kräfte stärken, einer zum Destruktiven neigenden Partei noch mehr Macht geben. Macht, die ihnen von Wählern aus dem Zorn über das Versagen der etablierten Politik verliehen worden sein könnte. Und so lud der Präsident alle im Parlament vertretenen Parteien zum Gespräch und appellierte vor allem an das Verantwortungsgefühl von CDU, CSU und SPD. „Mit dieser Verantwortung umzugehen, heißt auch, den Auftrag nicht an die Wähler zurückzugeben“, sagte er. Und auch dies: „Der Bundespräsident kann keiner der gewählten Parteien konkrete Vorgaben machen – aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die verhandelnden Parteien ernsthaft das Risiko von Neuwahlen heraufbeschwören wollen.“

Bis zu diesem Novembertag 2017 galt Frank-Walter Steinmeier als Präsident auf der erfolglosen Suche nach seinem Thema. Aus dem Auswärtigen Amt hatte er sich die fachlich besten Berater mit ins Bellevue geholt, war dabei, seinem Nachfolger dort, Sigmar Gabriel, zu demonstrieren, wie man Deutschlands Rolle in der Welt, in Afrika, in Ozeanien, in Asien am besten definiert: nicht hektisch, sondern einfühlsam. Zuhörend, nicht belehrend. Aber der Neben- oder Hauptaußenminister zu sein, das war eher die Fortsetzung des Bisherigen als die Definition des Kommenden. Dazu hatten ihn CDU, CSU und SPD nicht ziemlich genau vor einem Jahr, am 12. Februar 2017, für das höchste Staatsamt vorgeschlagen.

Nun aber wird sein Name als der desjenigen Menschen präsent bleiben, der Deutschland womöglich vor einer großen Krise bewahrt hat. Auch an der Zerstrittenheit seiner Parteien ist dieses Land schon einmal zugrunde gegangen.

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