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Politik: Sterben für die Schönen

In Nigeria werden bei Protesten militanter Moslems gegen die Miss-World-Wahl über hundert Menschen getötet

Bis zur Einführung der Scharia galt Kaduna im Norden Nigerias als Stadt des friedlichen Zusammenlebens von Christen und Muslimen. Doch vor zwei Jahren brachen in der Stadt nach Anti-Scharia-Kundgebungen die schlimmsten Unruhen zwischen Christen und Muslimen seit dem Ende der Militärdiktatur aus: In nur zwei Tagen starben 2000 Menschen bei Straßenschlachten. Jetzt ist Kaduna erneut zur Frontstadt geworden, diesmal wegen der für den 7. Dezember geplanten Wahl zur „Miss World“ in Abuja.

Die Schönheitsköniginnen sind angereist, sie halten sich im christlichen Süden des Landes zu Fotoaufnahmen in Luxushotels auf. Doch ihre Präsenz mitten im Ramadan erzürnt die Muslime in Nigeria, die rund die Hälfte der 120 Millionen Einwohner des Landes stellen und die Schau der Schönen als „Parade der Nacktheit“ kritisieren. Empört über einen liberalen Leitartikel in der Zeitung „This Day“ hatten am Mittwoch fanatische Muslime deren Redaktionsgebäude in Kaduna gestürmt und in Brand gesetzt. Mit SMS-Meldungen auf Handys und mit Predigten in den Moscheen hatten islamische Führer den Volkszorn angeheizt und zu Aktionen gegen „This Day“ aufgerufen. Die Zeitung hatte einen Kommentar zu Gunsten der Miss-World-Wahl veröffentlicht und darin gemeint, dass der Prophet Mohammed, würde er heute noch leben, vermutlich eine der Schönheitsköniginnen geheiratet hätte. Die Muslime werteten diese Ansicht als Blasphemie.

Bei den folgenden Ausschreitungen in Kaduna zogen Jugendgruppen durch die Viertel, sie errichteten Straßenblockaden, zündeten Häuser und Kirchen an. Beim Marsch durch die Stadt riefen die Muslime „Allah ist groß“, „Verdammt Miss World“ und „Verdammt die Regierung". Nach Schätzungen von Georges Bennet vom Internationalen Roten Kreuz in Lagos starben während der Unruhen am Mittwoch mindestens 100 Menschen. Freiwillige des Roten Kreuzes hätten überdies 521 Verletzte in die vier Hospitäler der Stadt gefahren, ergänzte Patrick Bawa vom Roten Kreuz Nigerias. Die Spannungen in der Stadt haben mehrere Dutzend Franzosen, die im Peugeot-Werk von Kaduna arbeiten, zur Flucht mit ihren Familien in die Hauptstadt Abuja veranlasst.

Geschäfte und Schulen Kadunas blieben geschlossen, die Behörden verhängten eine nächtliche Ausgangssperre. Dennoch kam es offenbar in der Nacht zum Freitag zu Racheakten von Christen an Muslimen, bei denen auch Moscheen attackiert wurden.

Die Bundesregierung von Nigeria hat während der Unruhen hunderte von Polizisten und Soldaten in Kaduna postieren lassen, doch laut einem BBC-Reporter sahen die Sicherheitskräfte dem Wüten des Mobs zeitweise passiv zu. Den Herausgeber der Zeitung „This Day“ will die Regierung jetzt mit strafrechtlichen Schritten verfolgen. Die Zeitung selbst hat inzwischen in der dritten Ausgabe in Folge sich bei den Muslimen entschuldigt und die Veröffentlichung des umstrittenen Artikels auf einen Irrtum zurückgeführt.

Auf einer Pressekonferenz in Abuja erklärten die Veranstalter des Miss-World-Wettbewerbes, dass die Veranstaltung wie geplant abgehalten werde. Die Vorfälle in Kaduna hätten nichts mit der Miss-World-Wahl zu tun. Die sei eine Form der Unterhaltung, die in jedem demokratischen Umfeld erlaubt sein sollte. Einige der Schönheitsköniginnen hatten die Miss-World-Wahlen in Nigeria als Forum nutzen wollen, um hier öffentlich gegen das Steinigungsurteil gegen Amina Lawal zu protestieren. Lawal war von einem islamischen Gericht im Norden Nigerias zum Tode verurteilt worden, weil sie außerehelich ein Kind gebar. In der jetzt aufgeheizten Atmosphäre ist ein Protest der Schönheitsköniginnen allerdings wenig wahrscheinlich.

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