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Politik: Steueramnestie für Rentner

Parteien einig: Hunderttausende sollen straffrei bleiben – das höchste Finanzgericht hat Bedenken

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Berlin. Hunderttausende Rentner, die in den letzten Jahren keine Steuern gezahlt haben, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet gewesen wären, sollen im nächsten Jahr durch eine Amnestie vor dem Zugriff der Finanzämter bewahrt werden. Das bestätigten am Montag das Finanzministerium und die Vorsitzende des Finanzausschusses, Christine Scheel: Eine Amnestie sei „der Wille aller Bundestagsfraktionen“, sagte die grüne Finanzexpertin dem Tagesspiegel.

Geplant sei, im Zuge des Gesetzes zur Besteuerung von Alterseinkünften ab 2005 zu regeln, dass Finanzämter die Steuerhinterziehung bei Rentnern rückwirkend nicht mehr verfolgen dürfen. Eine Idee, die nach Meinung von Steuerexperten rechtlich kaum zu halten ist.

Viele Rentner haben jahrelang keine Steuern bezahlt, obwohl sie entweder hohe gesetzliche Renten oder Zusatzeinnahmen aus Betriebsrenten, Kapitaleinkünften und Immobilien beziehen. Zwischen 300 000 und 400 000 solcher Fälle soll es geben, schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft. Aufgedeckt werden diese Fälle von Steuerhinterziehung ab dem Jahr 2005 zwangsläufig durch das geplante Kontrollsystem der Finanzämter über die Alterseinkünfte.

Dass Koalition und Union nun über eine Rentner-Amnestie nachdenken, liegt in erster Linie daran, dass die Parteien ein Jahr vor der Bundestagswahl 2006 nicht mit weiteren Massenprotesten von Rentnern konfrontiert werden wollen. Ob die Amnestie allerdings für alle Betroffenen gelten soll, ist noch offen. Möglicherweise wird eine Freigrenze dafür sorgen, dass nur die Rentner vor der Verfolgung geschützt werden, die geringere Steuerbeträge, etwa bis 500 Euro jährlich, zu zahlen gehabt hätten.

Der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, kritisierte die Amnestie als „steuerliches Faustrecht“. Auch beim Bundesfinanzhof (BFH) gibt es Bedenken: „Man kann Steuertatbestände nicht einfach ignorieren, nur weil es sich um Rentner handelt", sagte der Sprecher des höchsten deutschen Steuergerichts, Heinz-Jürgen Pezzer, dem Tagesspiegel. Eine Amnestie, die nur den Rentnern zugute käme, wäre eine Verletzung des Gleichheitsprinzips beim Gesetzesvollzug, meinte der BFH-Richter.

Das sieht auch der renommierte Verfassungsrechtler Wolfgang Arndt so: „Jede Amnestie ist ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot“, sagte der Mannheimer Professor dem Tagesspiegel. Um eine solche Privilegierung zu rechtfertigen, brauche man besondere Gründe. Die Amnestie für Rentner sei „nicht unproblematisch“, meinte Arndt. Nach Berechnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) werden im nächsten Jahr rund 1,3 Millionen Rentner zusätzlich steuerpflichtig, weil sie Zusatzeinnahmen haben.

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