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Entlasten - oder belasten?

© dpa

Steuerpolitik für das Wahlkampfjahr: Gerecht sein wollen sie alle

Die Union will die Mitte entlasten. Die Sozialdemokraten denken eher an Belastungen für Reiche. Das nächste steuerpolitische Patt ist fast schon programmiert.

Der Bundestagswahlkampf naht heran, die Forderungen nach großen Würfen werden wieder lauter.  Vor allem in der Steuerpolitik. Das einstige Paradethema der Freien Demokraten – Steuerreform und Steuersenkung – macht sich derzeit die Union zu eigen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat in ungewohnter Tateinheit mit seinem Finanzminister Markus Söder eine „große Sache“ angekündigt. Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (der ehrgeizig nach vorn strebt) will den „großen Wurf“. Und auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der sich in der gesamten Wahlperiode an den Koalitionsvertrag gehalten hat, der das steuerpolitische Patt zwischen Union und SPD festschrieb, kommt aus der Deckung seiner Schwarze-Null-Politik und gibt sich offensiv.

Es geht der Union vor allem darum, die Mittelschicht zu entlasten - und so der ungeliebten FDP das Wasser abzugraben. Zusätzlich zu der bereits angekündigten Möglichkeit, den Einkommensteuertarif an die Inflation anzupassen (also der kalten Progression entgegenzutreten), will Schäuble weitere Änderungen im Steuertarif, um die Belastung mittlerer Einkommen zu deckeln. So soll der Spitzensteuersatz nicht mehr schon ab einem Einkommen von 53000 Euro greifen, sondern erst deutlich darüber. Jetzt seien einmal die Leistungsträger, die „Ingenieure, Handwerksmeister und Lehrer“ dran, sagt Schäuble. Schäfer pflichtet ihm bei.

"Jahre des Stillstands"

Auch Seehofer und Söder zielen auf die Mitte, die sie besserstellen wollen. Nach „Jahren des Stillstands“ (die Bayern meinen damit natürlich auch Schäuble) müsse es eine neue Gerechtigkeit in der Steuerpolitik geben, forderte der Münchner Finanzminister in der vorigen Woche. Er will bei der Einkommensteuer den „Tarif auf Rädern“, den etwa der Bund der Steuerzahler schon seit Jahren fordert, den Schäuble aber vorerst ablehnt. Diese automatische Anpassung des Steuertarifs an die Inflation schafft die kalte Progression komplett ab. Der Bundesfinanzminister ist gegen den Automatismus, er will alle zwei Jahre per Bundestagsabstimmung entscheiden lassen, ob man anpasst oder nicht. Bei der Entlastung der Mittelverdiener sieht Söder zudem mehr Spielraum als Schäuble. Die Schätzungen liegen zwischen 12 und 18 Milliarden Euro. In München denkt man zudem an eine Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitalgewinne – sie beträgt pauschal 25 Prozent, künftig würde wieder der persönliche Steuersatz gelten. Damit würden Gutverdiener stärker belastet – ein persönlicher Steuersatz von 25 Prozent wird derzeit bei einem Einkommen von etwa 50000 Euro erreicht. Der Vorstoß von Söder deckt sich mit Forderungen der SPD, die einst von Finanzminister Peer Steinbrück eingeführte Abgeltungsteuer wieder zu beenden. Dass die CSU-Granden auch den Solidaritätszuschlag abschaffen wollen, ist kein völlig neuer Plan – das hat die Kanzlerin schon vor gut einem Jahr zur künftigen Position der Union erklären lassen, weshalb damals ja Schäubles Plan scheiterte, diese Einnahmen des Bundes mit den Ländern zu teilen und so zu einem Durchbruch bei der Reform der Bund-Länder-Finanzen zu kommen.

"Investitionsbedarf und Abbau von Krediten"

Freilich geht in der Steuerpolitik nichts ohne die SPD und die Grünen. Schon weil beide Parteien über ihre Landesregierungen im Bundesrat eine Sperrmöglichkeit haben – bei den großen Steuern sind die Länder immer mit im Boot. „Wir wollen auch, dass es gerecht zugeht“, kontert der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans die Forderungen aus der Union. Doch sagt er auch: „Wem bei Rekordgewinnen und Rekordbeschäftigung und daraus folgenden Steuereinnahmen zwar Steuersenkung, aber nicht auch Investitionsbedarf, gerechte Lastenverteilung und Abbau von Krediten einfallen, streut den Menschen Sand in die Augen und nimmt die Erosion unserer Wohlstandsgrundlagen in Kauf.“ Walter-Borjans gibt zu bedenken, dass die Steuerlast „gemessen an dem, was wir vom Staat erwarten und auch bekommen, im internationalen Vergleich absolut zu vertreten ist“. Allerdings gehen seine Vorstellungen für eine Steuerreform in eine etwas andere Richtung, auch wenn Entlastung der Mitte durchaus dazu gehört. Er will weiterhin den Kampf gegen Steuerhinterziehung forcieren und so zu Mehreinnahmen kommen. Es gehe zudem nicht gerecht zu, „solange die Mittelschicht einen zu hohen Beitrag leisten muss, weil Einkommensmillionäre durch Abgeltungssteuer, niedrigen Spitzensatz, Behandlung von Erbschaften und Schenkungen sich einer angemessenen Beteiligung entziehen können“, sagte er dem Tagesspiegel. Es gehe darum, „dass hohe Einkommen und Großvermögen angemessen beteiligt werden“. Und dass „der Geist der Steuergesetze gelebt wird“.

Der steuerpolitische Wahlkampf dürfte daher entlang der bekannten Linien verlaufen: Die Union lockt mit Erleichterungen für die Mitte, die Sozialdemokraten werden stärkere Belastungen für Reiche nach vorn stellen (ebenso die Grünen, die Linken sowieso). Und ob dann Schwarz-Rot regieren wird oder Schwarz-Grün (die derzeit denkbaren Varianten) – es könnte in den Koalitionsverhandlungen schnell wieder ein Patt entstehen.

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