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Politik: Stille Post

Murat Kurnaz übergab in Gefangenschaft eine Mitteilung an seine Familie ans Rote Kreuz – das Papier tauchte in Kuba wieder auf

Berlin - Nach der Befragung des Deutsch-Türken Murat Kurnaz im BND- Untersuchungsausschuss am Donnerstag verdichten sich Hinweise, wonach der gebürtige Bremer in einem US-Camp im südafghanischen Kandahar Anfang 2002 Kontakt zu einem als Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) getarnten Geheimdienstagenten hatte. Kurnaz hatte im Untersuchungsausschuss ausgesagt, er habe einem Deutsch sprechenden Rot-Kreuz-Mann in Kandahar eine Mitteilung an seine Familie in Bremen diktiert. Welcher Nationalität der Mann war, ist unklar. In der Nachricht teilte Kurnaz mit, er befände sich in amerikanischer Gefangenschaft in Afghanistan.

Doch in Bremen kam die Nachricht nie an. Stattdessen tauchte sie zu einem späteren Zeitpunkt in dem Gefangenenlager in Guantanamo auf, wohin Kurnaz überstellt worden war: Dort hielt man dem Türken das Schriftstück bei einer Vernehmung unter die Nase. Auf welchem Weg das Papier dorthin kam, ist nach wie vor unklar. Es deutet einiges daraufhin, dass das Papier nicht durch das Rote Kreuz, sondern einen Geheimdienst an die Amerikaner weitergeleitet wurde. Denn das IKRK teilt seinen Schützlingen nach eigenen Angaben mit, ob die von Ihnen entgegengenommene Post den Adressaten auch tatsächlich erreicht hat. Das war bei Murat Kurnaz jedoch nicht der Fall. Ob hinter dem vermeintlichen IKRK-Mitarbeiter ein getarnter Angehöriger der amerikanischen Behörden gesteckt haben könnte, will man beim IKRK nicht kommentieren.

Dass die Organisation jedoch sowohl in Kandahar als auch in Guantanamo Kontakt zu Kurnaz hatte, ist wahrscheinlich. Denn nicht nur dort, sondern weltweit werden Gefangene von IKRK-Mitarbeitern regelmäßig besucht – allein 2005 waren es 500 000 Menschen in mehr als 80 Ländern. Die Mitarbeiter überprüfen in den Gefängnissen, ob die Häftlinge gut untergebracht sind und menschlich behandelt werden. Ist dies nicht der Fall, prangert das IKRK die Missstände nicht öffentlich an, sondern versucht, die Angelegenheit mit den zuständigen Behörden zu klären.

Im Zusammenhang mit dem Fall Kurnaz könnte es nun sein, dass Mitarbeiter der Organisation vor dem BND-Untersuchungsausschuss als Zeugen befragt werden – die FDP-Mitglieder in dem Gremium haben am Donnerstag einen entsprechenden Antrag gestellt. Darin wird gefordert, dass die Organisation eine Liste mit den Personen zur Verfügung stellt, die im Untersuchungszeitraum im Gefangenenlager Kandahar gearbeitet haben. Außerdem soll das IKRK Mitarbeiter als Zeugen benennen, die während der Gefangenschaft von Murat Kurnaz Kontakt zu ihm hatten. Voraussichtlich wird der BND-Untersuchungsausschuss dem FDP-Antrag stattgeben und das IKRK in den Zeugenstand laden.

Doch gegen dieses Ansinnen deutet sich beim Roten Kreuz Widerstand an. „Für die Öffentlichkeit geben wir allgemein keine Auskünfte über Gefängnisse und ihre Insassen“, sagt Vincent Lusser, ein Sprecher des IKRK. „Bei Gerichtsprozessen treten wir nicht als Zeugen auf.“ Dies sei schließlich ein entscheidender Teil der Vereinbarung: Die Organisation bekomme als neutraler Besucher Zugang zu den Gefängnissen, dürfe aber nicht intervenieren.

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