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Vorkämpferin: Fereshta Ludin 2003 am Tag der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht. Sie selbst lehnt diese Sicht allerdings ab: Sie habe nicht für das Kopftuch gekämpft, sondern um Selbstbestimmung, sagte sie kürzlich dem Tagesspiegel. Foto: Uli Deck/dpa

© dpa/dpaweb

10 Jahre Kopftuchurteil: Stiller Ausschluss von Musliminnen

Zehn Jahre nach dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich: Die Folgen betreffen bei weitem nicht nur Lehrerinnen.

Es war nicht das erste Mal, dass die Verfassungsrichter sich mit dem muslimischen Kopftuch befassten – und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Zwei weitere Fälle liegen derzeit in Karlsruhe. Dennoch gilt der Fall Fereshta Ludin, der vor zehn Jahren entschieden wurde, am 24. September 2003, als das Kopftuchurteil schlechthin. Tatsächlich hat es die Islamdebatte grundlegend verändert.

Der damals 26-jährigen Grundschullehrerin Ludin hatte das Oberschulamt Stuttgart 1998 die Einstellung verweigert, weil sie ein Kopftuch trug. Das Tuch, so die Argumentation, sei Ausdruck kultureller Abgrenzung und damit nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Zeichen. Die Richter gaben Ludin darin recht, dass das Land keine Rechtsgrundlage hatte, um ihr die Einstellung zu verweigern, schlossen aber zugleich nicht aus, dass sie geschaffen würde: „Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.“ Dabei habe aber „das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen“ zu gelten.

Acht der 16 Bundesländer erließen "Kopftuchgesetze"

Nicht nur Baden-Württemberg reagierte umgehend. In den folgenden beiden Jahren erließen acht der 16 Länder „Kopftuchgesetze“ beziehungsweise änderten ihre Schulgesetze entsprechend. Die unionsgeführten Regierungen in Stuttgart, Düsseldorf und Saarbrücken nahmen dabei christliche Zeichen ausdrücklich aus. In Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und auch in Brandenburg fanden entsprechende Gesetzentwürfe keine Mehrheit, in den übrigen ostdeutschen Ländern und in Hamburg wurde nicht einmal darüber abgestimmt.

Auch Polizisten und Justizbeamte dürfen in Berlin "keine auffallenden religiös geprägten Kleidungsstücke tragen"

Berlin weitete das Verbot von „sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbolen, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren“, auf das gesamte pädagogische Personal in öffentlichen Einrichtungen aus. Und auch Polizisten und Justizbedienstete dürfen seit 2005 in der Hauptstadt „keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen“. Obwohl die Vorschrift keinen Unterschied zwischen den Religionen macht, hat nach Meinung eines Kenners auch Berlin „an der Schraube gedreht“. Begriffe wie „auffallende Kleidungsstücke“ oder „Zugehörigkeit demonstrieren“ seien eher gegen das Kopftuch als gegen ein Kreuz an der Halskette gerichtet.

Deutschland wurde international für sein Kopftuchverbot gerügt

Die Kopftuchverbote haben Deutschland seither international immer wieder Rügen und Mahnungen eingebracht, zuletzt vom UN-Menschenrechtsrat in Genf, der darin nicht nur die Religionsausübung gefährdet, sondern auch die Gleichberechtigung von Frauen eingeschränkt sieht. Sie könnten nicht mehr frei ihren Beruf wählen.

Tatsächlich scheint der stille Ausschluss von Musliminnen mit Kopftuch weit über die Berufe hinausgegangen zu sein, für die die Kopftuchverbote der Länder offiziell gedacht waren. Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaftler und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes registrieren Probleme auch für Verkäuferinnen, Informatikerinnen oder Angestellte in der Industrie. In Berlin klagte letztes Jahr eine junge Frau mit Erfolg gegen einen Zahnarzt, der sie nur des Kopftuchs wegen als Arzthelferin abgelehnt hatte. Und die Berliner Rechtsanwaltskammer hat gerade dagegen protestiert, dass einer Anwältin mit Kopftuch der Zugang zu Gericht verweigert wurde.

In Berlin gibt es das Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen

„Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Kopftuchgesetzen und dem Arbeitsmarkt“, sagt Lydia Nofal vom Berliner „Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen“. Selbst Frauen in festen Beschäftigungsverhältnissen würden mittlerweile gekündigt. Aber auch Studentinnen hätten schon Probleme, etwa wenn sie sich erfolglos um Praktika bemühen, die zwingend vorgeschrieben sind. „Wir haben deswegen eine Praktikumsbörse eingerichtet“, sagt Nofal.

Dabei hatten die Verfassungsrichterinnen und -richter vor zehn Jahren ausdrücklich kein generell gefährliches Symbol im Kopftuch sehen wollen: Es werde „als Kürzel für höchst unterschiedliche Aussagen und Wertvorstellungen wahrgenommen“ schrieben sie ins Urteil. Sie waren damit der Gutachterin Yasemin Karakasoglu gefolgt, heute Bildungsfachfrau im Team von SPD-Kandidat Peer Steinbrück. Sie verwies darauf, dass es gerade für jüngere Musliminnen Ausdruck der Verbindung von Modernität mit Religion und Familientraditionen sei. Das Tuch ablegen zu müssen, sagte Karakasoglu in Karlsruhe, wäre für diese Frauen ein Zeichen, dass ihre Form „selbstbestimmter Integration“ in die Mehrheitsgesellschaft gescheitert sei.

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