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Politik: Stimmenfang auf Polnisch

Auf der Zielgeraden des Wahlkampfes ziehen die Kontrahenten um das Amt des Premiers die Populismus-Karte. Am Sonntag wird abgestimmt

Vor ein paar Wochen noch herrschten in Warschau wenig Zweifel darüber, dass Donald Tusk als erster polnischer Ministerpräsident bei den Wahlen am Sonntag für eine zweite Amtsperiode bestätigt wird. Seit Mitte September aber hat der alte Taktiker der polnischen Politik, der rechtsnationale Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, mächtig aufgeholt. Kaczynskis Methode war denkbar einfach: Nachdem sich alle auf eine Schlammschlacht um den Flugzeugabsturz seines Bruders bei Smolensk eingestellt hatten, zügelte Kaczynski seine Streitsucht und gab sich – wie bereits bei den Präsidentenwahlen 2010 – äußerst moderat. Die Regierung Tusk passte sich an, der Wahlkampf wurde gähnend langweilig.

Auf der Zielgerade kommt nun der alte Kaczynski wieder zum Vorschein. „Sind Sie ein deutscher oder ein polnischer Journalist?“, fragte er jüngst einen Reporter des polnischen Privatsenders TVN. Dieser hatte es gewagt, Kaczynski auf sein rechtzeitig zum Wahltermin veröffentlichtes Buch „Das Polen meiner Träume“ anzusprechen. Kaczynski wirft darin Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, Polen unterwerfen zu wollen. „Merkel gehört jener Generation deutscher Politiker an, die die imperiale Macht Deutschlands wiederherstellen wollen“, schreibt der Regierungschef von 2006/7 in seinem Buch. „Eine strategische Achse mit Moskau ist ein Teil davon, und Polen kann dabei nur ein Hindernis sein.“ Kaczynski behauptet, die Deutschen strebten eine Wiedereingliederung der ehemaligen deutschen Gebiete in Westpolen an.

Anti-deutsche Propaganda hatte Kaczynskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) in jedem Wahlkampf begleitet. Dass er seine anti-deutschen Phobien bisher zumindest in den Medien seiner ultrakatholischen Stammwählerschaft nicht auslebte, überraschte geradezu. Die Behauptung, Tusks Großvater sei im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtssoldat gewesen, hatte Kaczynskis Zwillingsbruder Lech 2005 den Weg ins Präsidentenamt geebnet. In den vergangenen vier Jahren hatte er im Sejm, dem polnischen Parlament, immer wieder gegen die deutsch-russische Vorherrschaft gewettert, der sich Polen unter Tusk freiwillig unterworfen habe.

Nun geht Jaroslaw Kaczynski aber weiter. Merkel könnte durch die Stasi an die Macht gebracht worden sein, sinniert er in seinem Buch. „Ich glaube nicht, dass die Übergabe der Kanzlerschaft an Angela Merkel reiner Zufall war“, schreibt er dort enigmatisch. In einem Interview mit der polnischen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Newsweek“ erklärte Kaczynski, Merkel wisse schon, was er sagen wolle.

Doch auch Tusks PO hat einen Zahn zugelegt. Der jüngste Wahlspot der Liberalen zeigt fanatisierte Kreuz-Verteidiger vor dem Präsidentenpalast, die meisten davon Kaczynski-Anhänger, sowie Fußballhooligans, die ein Stadion zertrümmern. „Sie gehen am Sonntag wählen“, warnt eine Stimme aus dem Off. Kurz vor der Entscheidung versucht Tusk damit, die Lethargie in der polnischen Gesellschaft aufzubrechen. Soziologen warnen davor, dass deutlich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urne geht.

2007 war die Abwahl der Kaczynski-Regierung nur dank der Mobilisierung einer großen Zahl von Jungwählern möglich. Vier Jahre später hat allerdings ausgerechnet Kaczynski bei Wählern unter 24 Jahren die besseren Karten. Während sich die PO siegessicher monatelang zurücklehnte, kaufte die PiS hochprofessionelle Politikberater ein. Kaczynski zeigte sich bald umringt von hübschen, jungen Frauen. Er mischte mit ihnen seine Wahllisten auf, hielt die kontroversesten Rechtspolitiker – wie seinen ehemaligen Innenminister Zbigniew Ziobro oder den Kommunisten-Jäger Macierewicz – im Hintergrund. Auf die Präsentation seines Schattenkabinetts verzichtete Kaczynski, um damit das große Negativ-Elektorat nicht zu mobilisieren.

Auch sagte er sämtliche Wahlkampfdebatten mit anderen Parteiführern ab. Mit seiner Nuschelstimme und gewagten Satzkonstruktionen schnitt er in TV-Debatten seit je schlecht ab. Nur an die „Debatten“ des ultrakatholischen TV-Senders „Trwam“ von „Radio Maryja“-Gründer Pater Tadeusz Rydzyk delegierte Kaczynski seine Parteisoldaten. Die PiS-Abgeordneten konnten dort ungestört unter sich über ein besseres Polen diskutieren. Bedient wurde damit die eiserne Wählerreserve. Denn seit Kaczynskis Regierungszeit gibt es rechts der PiS praktisch niemanden mehr. Die ultrakatholische Polnische Familienliga (LPR) tritt gar nicht mehr an. Die einstige Juniorpartnerin Samoobrona ist nach dem Selbstmord Andrzej Leppers nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Kaczynskis „Lämmchen-Taktik“ brachte der PiS erneut wichtige Umfrageerfolge. In manchen Prognosen ist die PiS inzwischen bis auf drei Prozentpunkte auf die PO aufgerückt. Bedenkt man, dass viele Befragte nur ungern zugeben, dass sie ihre Stimme ausgerechnet Kaczynski geben wollen, liegt ein Wahlsieg durchaus in Reichweite. Hinter den beiden unerbittlichen Konkurrenten aus dem einstigen Solidarnosc-Lager, können wohl drei weitere Formationen knapp die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Die post-kommunistische SLD kommt in den Umfragen dank moderat linker Slogans auf rund zehn Prozent. Ähnlich stark dürfte die völlig neue, anti-klerikale Protestpartei „Janusz Palikot-Bewegung“ des gleichnamigen einstigen PO-Mitglieds abschneiden. Auch die Bauernpartei PSL, die heute an der Regierung beteiligt ist, dürfte es wieder ins Parlament schaffen.

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