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Politik: Stoiber: Die 68er verprassen das Erbe

Beim Wahlauftakt in München eröffnet der CSU-Chef den Kulturkampf, während Merkel freundlich bleibt

Von Robert Birnbaum

Markus Söder hat’s diesmal mit Luft in dünnen Schläuchen. Vor der Reithalle in Schwabing hat der CSU-Generalsekretär große Gebläse aufstellen lassen, die in meterlange Luftschlauchmännchen pusten und sie aufrecht flattern lassen, was alles zusammen einen Heidenkrach macht. Was das genau mit dem Wahlkampfauftakt der CSU zu tun hat, ist Söders Geheimnis. Vielleicht hat er gedacht, die CSU muss wenigstens ein bisschen Spektakel haben. Vielleicht hat Söder auch bloß vorher nicht gewusst, dass sein Parteichef auf ganz andere Weise auf Krawall aus sein wird.

Ansonsten findet der Wahlkampfauftakt mit der Losung „Gemeinsam für den Wechsel“ in eher unbajuwarischer Umgebung statt. Die frühere Kavallerie-Exerzierhalle ist wie ein Talkshow-Studio mit ansteigenden Zuschauerreihen und zentralem Podium hergerichtet. Darum herum sitzen CSU-Gewaltige und Abgeordnete und Jungunionisten, die über ihren Köpfen mit blauen Pappkartons wedeln. Auf denen steht vorne „Wechsel jetzt“ und hinten „Aus is’, Gerd“.

Als Angela Merkel und Edmund Stoiber einziehen, wedeln die Pappkartons eifrig. Merkel winkt, Stoiber winkt. Tusch. Dann hält die Kandidatin der CSU eine Rede, die man noch oft von ihr hören wird: Frau Dr. Merkel stellt dem Patienten Deutschland mit ernster Miene und eindringlichen Gesten die Diagnose und erläutert nachfolgend die Therapie. Damit der Patient sein Leiden besser versteht, hilft sie mit leicht verständlichen Beispielen nach. Der Staatsbankrott wird viel anschaulicher, wenn man bei allen Zahlen die Milliarden weglässt. Das kann ja nicht gut gehen, wenn jemand 250 Euro laufende Ausgaben hat plus 40 Euro Zinsbelastungen, aber nur 210 Euro einnimmt.

Dann kommt die Therapie. Merkel weiß, dass ihr größter Gegner nicht Gerhard Schröder ist, sondern die Skepsis in der eigenen Anhängerschaft. Dagegen redet sie an. „Solidarität ist ohne ein vernünftiges wirtschaftliches Fundament eine Worthülse“ ist so ein Satz gegen die Zweifler. Oder die Frage, ob das überhaupt geht, mehr Wachstum, mehr Arbeit, mit den Chinesen, den Indern, den Osteuropäern als übermächtigen Konkurrenten? Merkel appelliert an die Erben der Wirtschaftswundertage: „Was wären wir denn für Kinder unserer Geschichte, wenn wir nicht sagen würden: Natürlich können wir aus unserem Land etwas machen?“

Den politischen Gegner bei der SPD und der Linkspartei nimmt sich Merkel nur kurz vor. Das übernimmt dann Stoiber. „Angela Merkel setzt auf das Argument“, sagt er. Es klingt wie eine Erläuterung. „Angela Merkel will die Menschen nicht zu einer Stimmungswahl verführen.“ In Bayern sind sie nicht so zimperlich. Mit keinem Wort hat die CDU-Chefin ein rot-rot-grünes Bündnis an die Wand gemalt – Stoiber tut es: „Eine bürgerliche Regierung oder Rot-Rot-Grün – das ist die Alternative.“ Dass die Union dabei die FDP als Partner in Kauf nehmen müsse. „Ich liebe die FDP nicht“, sagt Stoiber. Der Satz platzt derart aus ihm heraus, dass es sekundenlang still wird im Saal.

Folgenreicher könnten ein paar andere Sätze werden. Denn Stoiber eröffnet mal eben einen Kulturkampf, den die CDU in Berlin peinlich meidet, eine Frontalattacke gegen „die linken 68er“. Deren Ideologie liege dem Scheitern von Rot-Grün zu Grunde, die Abwertung von Tugenden wie Fleiß, Leistungsbereitschaft, Disziplin, die Technikfeindlichkeit und Wachstumskritik. Was die Deutschen nach dem Krieg aufgebaut hätten, „dieses Erbe, das haben die 68er verprasst!“

Merkel guckt relativ indifferent bei diesen Passagen. Fast so neutral freundlich wie in dem Moment, in dem Stoiber ihr symbolisch einen Bergrucksack nebst Helm überreicht hat „für den schwierigen Aufstieg“, oder als er sagt, dass die CSU wieder 58 Prozent wie bei der letzten Bundestagswahl erreichen müsse, damit Bayern in der Bundespolitik eine starke Rolle spiele. Hinterher, beim allgemeinen Jubel auf der Bühne, lächeln alle wieder gemeinsam. Nur Markus Söder blickt ärgerlich zur Decke, wo ein riesiger Sack voller Luftballons das Schlussbild verdirbt, weil er nicht aufgehen will.

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