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Kämpfer der IS-Terrorgruppe.

© AFP

IS-Terror: USA denken über Ausweitung der Angriffe auf Syrien nach

Um die IS-Dschihadisten zu bekämpfen, überlegen die USA, ihre Angriffe auch auf Syrien auszuweiten. Ist das der richtige Weg für einen Einsatz in der Region?

Die Botschaft aus dem Pentagon ist ungeschminkt. Um die Brigaden des „Islamischen Staates (IS)“ zu bekämpfen und eine Kernschmelze der arabischen Staatenwelt zu verhindern, sind wesentlich intensivere internationale Militäraktionen nötig – wahrscheinlich auch in Syrien. Die IS-Krieger sind „jenseits von allem, was wir bisher gesehen haben“, erklärten Verteidigungsminister Chuck Hagel und Generalstabschef Martin E. Dempsey und sprachen von einem „neuen Paradigma“ der Bedrohung. „Sie verknüpfen Ideologie mit ausgefeilten strategischen und taktischen Fähigkeiten. Sie sind finanziell unglaublich gut ausgestattet.“ Um diese Langzeitgefahr zu kontern, müssten „alle Instrumente nationaler Macht - diplomatische, wirtschaftliche, geheimdienstliche und militärische" eingesetzt werden, erklärten die beiden Chefmilitärs, wobei sie offen ließen, ob damit auch Bodentruppen gemeint sind. Mit dieser dramatischen Pressekonferenz haben die Vereinigten Staaten für sich und ihre Alliierten erstmals neue Maßstäbe abgesteckt – für die „apokalyptische“ Gefahr der IS, für die Bedrohung der nahöstlichen Region und der westlichen Welt sowie für die Dimensionen der erforderlichen Gegenwehr.

Welche Aktionen sind geplant?

Die Pentagonplaner wissen, dass sich eine hochmotivierte, taktisch geschulte und exzellent bewaffnete Truppe wie IS nicht allein durch Luftangriffe ausschalten lässt. Raketentreffer können Konvois, die einen Angriff vorbereiten, oder einzelne gepanzerte Fahrzeuge und Geschütze zerstören. Aus eroberten Städten jedoch lassen sich die Krieger aus der Luft nur vertreiben, wenn man ganze Wohnviertel in Schutt und Asche legt – eine Erfahrung, die die Bewohner der im Januar besetzten irakischen Stadt Fallujah bereits machen mussten. Unter der Erde haben die Gotteskrieger Netzwerke von Tunneln angelegt, die es ihnen erlauben, überraschend anzugreifen und sich sofort wieder zurückzuziehen. „Wir können sie nicht schlagen“, erklärte ein irakischer Offizier. „Sie sind wie Geister - sie tauchen auf, schlagen zu und sind Sekunden später wieder wie vom Erdboden verschluckt.“ Auch die Erfahrungen der Nato-Operationen in Libyen vor drei Jahren zeigen die Grenzen eines modernen Luftkrieges. Acht Monate Einsätze und nahezu 10 000 Angriffe waren notwendig, bis die bewaffneten Rebellen die 30 000 Elitetruppen Gaddafis in die Knie zwingen konnten. Den europäischen Alliierten ging zwischenzeitlich sogar die Munition aus, so dass die USA aushelfen mussten.

Wie gut sind die IS-Gruppen bewaffnet?

Allein in Mosul fielen den IS-Terroristen Waffen und Fahrzeuge amerikanischer Herkunft für 60 000 Mann in die Hände. Aus Beständen der syrischen Armee verfügen sie über mindestens 20 Panzer. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte schätzt die Zahl der Kämpfer inzwischen auf 50 000 Mann, darunter 12 000 Ausländer aus insgesamt 50 Staaten der Welt. Abertausende neuer Dschihadisten werden durch die IS-Siege im Irak angelockt. In Syrien und Mesopotamien kontrollieren die Extremisten inzwischen 40 Prozent des Territoriums, insgesamt eine Fläche von der Größe Großbritanniens.

Ist eine Ausweitung der Angriffe auf Syrien sinnvoll?

Luftangriffe in Syrien würden die USA und den Westen nach gut drei Jahren erstmals offen in den Bürgerkrieg hineinziehen, der bisher 191 000 Menschen das Leben gekostet hat. Doch anderenfalls behielte IS auf syrischem Territorium einen Rückzugsraum, von dem aus ihre Kämpfer weiterhin ungehindert in alle Richtungen operieren könnten.

Doch die sunnitische Bevölkerung im Irak und Syrien aber wird sich für einen totalen Kampf gegen IS nur mobilisieren lassen, wenn die schiitisch dominierten Regime in Bagdad und Damaskus endlich ihren politischen Forderungen entgegen kommen. In Syrien werden Aufstand und Bürgerkrieg gegen Bashar al-Assad mehrheitlich von Sunniten getragen. Im Irak machen viele Sunniten mit den Radikalen gemeinsame Sache, weil sie sich in den letzten acht Jahren von der Zentralregierung diskriminiert fühlten. Ob die Sunniten wieder auf der Seite Bagdads kämpfen werden, ist offen.

Denn wer sich den IS-Kriegern entgegenstellt, riskiert alles. Im sunnitischen Dorf Zowiya nahe Tikrit wurden über 200 Häuser systematisch in die Luft gesprengt. In Ostsyrien wehrten sich Angehörige des Shueitat-Stammes mit Waffen gegen die Beschlagnahme ihrer Ländereien und verjagten die IS-Dschihadisten. Letzten Monat kamen diese zurück und nahmen fürchterliche Rache. Hunderte Mitglieder des Stammes wurden verschleppt und getötet, einige auf offener Straße mit Messern abgeschlachtet. „Ich kann nicht begreifen, warum die USA im Irak bombardieren und nicht in Syrien, wo die IS seit mehr als einem Jahr ihre Basis aufgebaut hat", zitiert die „New York Times“ einen der Überlebenden des Massakers, der sich verwundet retten konnte. „Ich wünschte, wir könnten die Amerikaner überzeugen, alle IS-Stützpunkte zu beschießen, wo immer sie sich befinden.“

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