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Politik: Strategie statt Staunen

Lästig wäre es für den Kanzler. Mindestens.

Lästig wäre es für den Kanzler. Mindestens. Der Westen kämpft gegen den Terror, und Deutschland diskutiert über die Nato - um am Ende deren neues Strategisches Konzept im Parlament doch noch ratifizieren zu müssen. Denn das wäre die Konsequenz, wenn die PDS heute in Karlsruhe ihren Organstreit gegen die Regierung gewinnt. Und besonders lästig wäre: Die Richter stärken in ihrem Urteil die Rechte des Bundestags in Sachen Außenpolitik. Denn Gerhard Schröder weiß, allzu ausgedehnter Parlamentarismus verträgt sich nicht immer gut mit fixer Bündnissolidarität.

Doch genau darum geht es: Wer hat außenpolitisch eigentlich das Sagen? Gleichgültig wer Recht bekommt, Karlsruhe hat Grundsätzliches angekündigt. Der Streit entzündet sich am neuen Nato-Strategiekonzept. Es wurde unter dem Eindruck der Kosovo-Intervention im April 1999 verabschiedet. Nach Überzeugung der Nato-Partner erlaubt es der Allianz "Krisenreaktionseinsätze" auch außerhalb des eigentlichen Bündnisgebiets, notfalls sogar ohne Mandat der Vereinten Nationen. Die PDS hält dies für eine schleichende Änderung des Nordatlantikvertrags. Sie bringt einen Grundgesetzartikel für sich in Stellung, der den Vorrang der Exekutive in Fragen der Außenpolitik für einen genau definierten Fall durchbricht: Wenn Verträge, die "politische Beziehungen des Bundes regeln", abgeschlossen oder geändert werden, muss der Bundestag daran beteiligt sein.

Hat das neue Konzept den Nato-Vertrag also geändert oder lediglich "fortentwickelt", wie Außenminister Joschka Fischer bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe im Juni behauptete? Der zuständige Zweite Senat hatte gründlich gefragt. Ob es in dem Papier nicht die "ein oder andere Besonderheit" gebe, wollte etwa der Bericht erstattende Richter Udo Di Fabio wissen. Und Richter Winfried Hassemer fragte, wann denn "ein Kaliber erreicht" sei, dass der Bundestag eingeschaltet werden müsse. Joschka Fischer verwies auf die anderen Bündnispartner, von denen keiner eine förmliche Vertragsänderung habe beschließen wollen: "Würden wir Deutschen das so einstufen, hätte das im Ausland ungläubiges Staunen zur Folge".

Jetzt hat es das Gericht in der Hand, ob das Ausland staunt. Es musste das Strategiepapier, das den Umfang des Nato-Vertrages um ein Vielfaches übersteigt, Punkt für Punkt auf seinen ändernden Charakter abklopfen. Anders als im Vertrag sind dort jedoch selten klare Worte zu finden. Die künftige Ausrichtung des Bündnisses verbirgt sich in einem Gewölk offener und sich häufig wiederholender Formulierungen - ein politisch-diplomatisches Dokument, an dem eindeutig vor allem seine Interpretation durch die Bündnispartner ist.

Dass die Nato des Kalten Krieges indes mit jener der humanitären Interventionen und der Terrorbekämpfung nicht mehr identisch sein kann, spürten die Karlsruher Richter bereits 1994. Damals billigten sie Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr. Vier Richter - von denen zwei, Gerichtspräsidentin Jutta Limbach und Bertold Sommer, jetzt erneut mitzuentscheiden haben - sahen bereits damals Mitwirkungsrechte des Bundestages gefährdet. Sie argumentierten in dem Urteil ähnlich wie heute die PDS: Man muss einen Vertrag nicht ausdrücklich ändern. Die Zustimmung des Bundestags könne auch für "völkerrechtliche Äußerungs- und Handlungsformen, die potenziell auf die Änderung eines politischen Vertrages angelegt sind", eingefordert werden.

Bis auf die PDS fühlt sich keine Fraktion im Bundestag übergangen. Ihr geht es in Karlsruhe ums Prinzip. Genau übrigens wie 1994 der SPD. Ihre Fraktion hatte seinerzeit geklagt - damals noch in der Opposition.

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