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Ein Mann in Kobane im Norden Syriens trägt eine vom IS erbeutete Waffe.

© Yasin Akgul / AFP

Strategiewechsel für Syrien: Mit Assad verhandeln, IS bekämpfen, Kurden stärken

Hunderttausende Flüchtlinge und Terrorgefahr durch den IS für Europa erfordern eine neue Strategie für Syrien. Unser Gastautor von der Stiftung Wissenschaft und Politik benennt drei Punkte, auf die sich die deutsche Politik konzentrieren sollte.

Die hunderttausenden syrischen Flüchtlinge, die derzeit Richtung West- und Nordeuropa ziehen, zeigen uns mehr als deutlich, dass die deutsche und europäische Syrien-Politik gescheitert ist. Syrien zerfällt, und fast überall dort, wo der Staat die Kontrolle verliert, übernehmen jihadistische Gruppierungen wie der IS die Macht, treiben noch mehr Menschen in die Flucht und bedrohen die innere Sicherheit Europas.

Deutschland hat ein vitales Interesse an einem stabilen Syrien, in dem Syrer ohne Angst vor der eigenen Regierung leben können. Da dies angesichts der katastrophalen Lage in weiter Ferne liegt, sollte die deutsche Politik ihre Ziele jedoch ein wenig bescheidener definieren: Erstens muss verhindert werden, dass die noch unter der Kontrolle des Regimes stehenden Reste des syrischen Staates auch noch zusammenbrechen (und so neue, noch größere Flüchtlingswellen ausgelöst werden) und zweitens muss der IS zunächst weiter geschwächt und dann so schnell wie möglich zerschlagen werden.

Um diese Ziele zu erreichen, kann Deutschland drei Dinge tun: Erstens, wie jetzt überall diskutiert, Verhandlungen mit dem Assad-Regime, Iran und Russland über eine politische Lösung aufnehmen, aber in dem Bewusstsein, dass diese selbst im Idealfall nur einen Teil des Problems lösen. Zweitens dabei helfen, die syrischen Kurdengebiete zu stabilisieren und die kurdischen Truppen in Nordsyrien mit militärischer Ausrüstung und durch Ausbildung zu unterstützen – allerdings nur, wenn die Türkei dem zustimmt. Und drittens an den Luftangriffen auf den IS teilnehmen und gemeinsam mit den USA arabisch-sunnitische Gruppierungen für den Kampf gegen den IS ausbilden und ausrüsten.

Das Assad-Regime ist in den vergangenen Monaten unter starken Druck geraten, insbesondere weil eine Rebellenkoalition unter der Führung der jihadistischen Nusra-Front und der salafistischen Ahrar ash-Sham fast die gesamte Provinz Idlib einnehmen konnte. Dies dürfte der Anlass für den russischen Truppenaufbau in der Küstenprovinz Latakia sein, die direkt an Idlib grenzt. Da das Regime geschwächt ist, könnte der Zeitpunkt für Verhandlungen mit Assad tatsächlich günstig sein. Vorher sollten allerdings Ziel und Perspektiven einer diplomatischen Initiative klar definiert werden.

Deutschland sollte syrische Kurden mit Waffen unterstützen

So muss es darum gehen, dass das Assad-Regime seinen Krieg gegen die eigene Bevölkerung aufgibt, um damit eine wichtige Ursache für die Massenflucht der Bevölkerung, aber auch für die Stärke der islamistischen Terroristen zu beseitigen. Am Ende von Verhandlungen sollte hingegen kein Bündnis mit Assads Truppen und Milizen stehen, wie es Moskau gerne sähe, denn damit würde man sich eine Mehrheit der syrischen Bevölkerung zu Feinden machen. Dies bedeutet aber, dass Verhandlungen selbst im (unwahrscheinlichen) Erfolgsfall nur dazu führen können, dass die weiterhin vom Regime kontrollierten Gebiete etwas stabilisiert werden und die Intensität des Konfliktes nachlässt. Für große Teile des Landes einschließlich Aleppos hätte dies keine positiven Folgen. Eine diplomatische "Lösung", wie sie zurzeit so oft proagiert wird, wäre also nur eine Teillösung.

Neben den vom Regime kontrollierten Gebieten herrscht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) über vorwiegend kurdisch besiedelte Gebiete im Norden und Nordosten des Landes. Zwar handelt es sich bei der PYD um den syrischen Ableger der PKK, die auch in Deutschland zu Recht als terroristische Organisation gilt. Doch schützen die Truppen der PYD die eigene Bevölkerung vor den Islamisten und koordinieren ihre Aktionen mit der US-Luftwaffe. Da es in Syrien sonst keinen anderen handlungsfähigen und auch nur halbwegs akzeptablen Verbündeten gibt, wäre es folgerichtig, wenn Deutschland die syrischen Kurden unterstützte – auch mit Waffen und Ausbildung, in Umfang und Qualität ähnlich der jetzigen Hilfen für die irakischen Kurden.

Sinnvolle Syrien-Politik nur in enger Abstimmung mit Ankara möglich

Um dies zu ermöglichen, müsste zunächst die Türkei dafür gewonnen werden, ein solches Vorgehen zu dulden. Denn Ankara hat alle Hebel in der Hand, eine Stabilisierung der syrischen Kurdengebiete zu verhindern. Dies mag vor dem Hintergrund des neu entflammten Krieges der Türkei gegen die PKK unrealistisch erscheinen, ist aber für eine zielgerichtete deutsche Syrien-Politik unabdingbar. Eine Verhandlungslösung zwischen Ankara und der PKK gehört ohnehin zu den wichtigsten Interessen deutscher Außenpolitik; vielleicht gibt es nach den Neuwahlen in der Türkei die Möglichkeit, den Friedensprozess wiederzubeleben. Ohne eine enge Abstimmung mit der Türkei wird es keine sinnvolle deutsche Syrien-Politik geben, so schwierig dieser Partner auch sein mag.

Auch wenn die Verbrechen des Assad-Regimes die Ursache für den Zusammenbruch Syriens darstellen, hat sich der IS zu der direkteren Bedrohung für Europa entwickelt. Hierfür sorgen schon die rund 4.000 europäischen Islamisten, die seit 2012 zum Kampf nach Syrien aufgebrochen sind und die sich mehrheitlich dem IS angeschlossen haben. Seit Frühjahr 2014 hat es in Europa auch eine Reihe von Anschlägen aus dem Umfeld des IS gegeben. Um zu verhindern, dass der IS größere Attentate planen und organisieren kann, muss die Gruppierung zerschlagen werden.

Für den Kampf vor Ort müssen arabische Sunniten ausgebildet werden

Die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten sind ein wichtiger Schritt hierzu, und es gibt keinen Grund, warum sich die Bundeswehr nicht an ihnen beteiligen sollte – wenn doch selbst Australien Flugzeuge schickt. Gleichwohl stimmt es, dass Luftangriffe die Jihadisten nur aufhalten können. Wenn es darum geht, den IS zu zerschlagen, müssen Bodentruppen entsandt werden. Dies sollten keine Amerikaner oder Europäer sein, denn die hätten große Probleme im Kampf gegen einheimische Jihadisten, wie sich im Irak nach 2003 zeigte und wie es auch in Syrien zu erwarten wäre. Auch die syrischen und irakischen Kurden würden in arabisch besiedelten Gebieten von der Bevölkerung als Besatzer angesehen, so dass der IS weiteren Zulauf erhalten würde.

Es müssen also nicht-islamistische arabische Sunniten aus Syrien sein, die die Hauptlast des Kampfes tragen. Die US-Regierung hat dies bereits seit langem erkannt, die Ausrüstung und Ausbildung allerdings nur halbherzig betrieben und ihre Verbündeten in Syrien nicht vor ihren islamistischen Gegnern geschützt. Deutsche und Europäer sollten die USA überzeugen, nicht-islamistische Aufständische effektiv zu unterstützen, und sich selbst an einem solchen Programm beteiligen; dies ist die einzige Möglichkeit, den IS wirksam zu bekämpfen. Sollten alle Verhandlungen mit dem Regime scheitern, wäre es auch klug, mehr als nur kurdische Verbündete vor Ort zu haben.

Guido Steinberg forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) unter anderem zu salafistischen und jihadistischen Gruppen in der syrischen Aufstandsbewegung. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Text ist auch auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt veröffentlicht worden.

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