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Streit: Testfall Chodorkowski

Die Koalition kann sich nicht auf gemeinsame Erklärung zum Prozess gegen den Unternehmer in Russland einigen. Der frühere Chef des Ölkonzerns Jukos muss sich derzeit in Moskau wegen Unterschlagung und Geldwäsche verantworten.

Berlin - Eine gemeinsame Entschließung des Bundestages zum Prozess gegen den russischen Unternehmer Michail Chodorkowski droht an einem koalitionsinternen Streit zu scheitern. Ein von den Grünen verfasster Entwurf fand Zustimmung bei der Union und der FDP. Die Sozialdemokraten legten dagegen einen eigenen, allgemeineren Entwurf vor, in dem der Fall Chodorkowski nicht mehr im Mittelpunkt steht. Union und SPD geben sich nun gegenseitig die Schuld daran, dass es bisher zu keiner Einigung gekommen ist.

Der frühere Chef des Ölkonzerns Jukos muss sich derzeit in Moskau wegen Unterschlagung und Geldwäsche verantworten. Internationale Beobachter – darunter der Europarat – waren nach einem ersten Verfahren gegen ihn zu dem Schluss gekommen, dass es politisch motiviert war. In dem Entwurf der Grünen wird nun die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass auch diesmal „ein strafrechtlicher Prozess für politische Ziele genutzt wird“. Wesentliche Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit würden in Russland „nicht oder ungenügend beachtet“, heißt es in dem Entwurf. „Trotz einiger Fortschritte gibt es weiter besorgniserregende Entwicklungen.“

Derart deutliche Kritik fehlt dagegen im Entwurf der SPD, der dem Tagesspiegel vorliegt. Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gebe es „positive und negative Trends“, heißt es darin. Die Sozialdemokraten sehen das Verfahren zwar ähnlich wie die Grünen als „Testfall“ für die Glaubwürdigkeit der russischen Justiz. Allerdings gibt es im SPD-Entwurf den Zusatz, der Respekt vor der Unabhängigkeit der russischen Justiz gebiete es, den Prozessverlauf und die Entscheidung des Gerichts abzuwarten. Mit dieser Formulierung sind nicht alle SPD-Außenpolitiker einverstanden: Er sei „nicht glücklich“ mit diesem Satz, betonte der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, der am Montag in Moskau den Chodorkowski-Prozess beobachtet hat. „Ich hätte diesen Satz lieber gestrichen.“ Leider sei er in der betreffenden Sitzung der SPD-Arbeitsgruppe Außenpolitik nicht dabei gewesen.

Beim Koalitionspartner und der Opposition stößt der SPD-Entwurf auf Kritik: „Er zeichnet ein zu euphemistisches Bild von Russland“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden, dem Tagesspiegel. Die FDP-Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird noch deutlicher: „Dass sich die SPD mit der Unterstützung von Herrn Chodorkowski so schwertut, ist ein Armutszeugnis. Wer den konstruktiven Dialog sucht, braucht keine Leisetreterei“, betonte die Ex-Justizministerin.

Union und Grüne gehen davon aus, dass der Entwurf der SPD, in dem die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier angeregte Modernisierungspartnerschaft hervorgehoben wird, seinen Ursprung im Auswärtigen Amt hat. „Von dort kam das Signal, es sei nicht opportun, das Thema Chodorkowski anzusprechen“, sagte Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff.

Der Streit zwischen SPD und Union dreht sich vor allem um Verfahrensfragen: Die Sozialdemokraten werfen der Union vor, sich nicht an das in der Koalition übliche Procedere zu halten und nicht über den von ihnen vorgelegten Entwurf reden zu wollen. „Ich dränge die CDU, sich mit uns an einen Tisch zu setzen“, sagte Meckel. Die Union dagegen sieht die SPD am Zug. Der von den Grünen eingebrachte Antragsentwurf sei mit der Union abgestimmt, betonte Schockenhoff. „Damit war es ein CDU/CSU-Vorschlag.“ Dazu habe sich die SPD bisher aber nicht geäußert.

Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck, auf deren Initiative der Antrag zurückgeht, kann über diesen Streit nur den Kopf schütteln. „Ich bin nicht der Coach der Koalition“, sagt sie. Die Grünen wollen den Antrag in der kommenden Woche in den Bundestag einbringen. Schockenhoff unterstützt ihn zwar, wird sich aber bei der Abstimmung enthalten – wegen der Koalitionsdisziplin.

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