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Politik: Streit um angeblichen Hartz-Missbrauch

Die Kommunen haben einen Großteil der früheren Sozialhilfeempfänger als erwerbsfähig eingestuft und damit in das steuerfinanzierte Arbeitslosengeld-II-System weitergereicht. Sie wehren sich aber gegen den Vorwurf, falsche Maßstäbe angelegt zu haben. (03.03.2005, 14:36 Uhr)

Berlin - Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) bestätigte am Donnerstag einen Bericht der «Berliner Zeitung» vom selben Tag, wonach in vielen Städten bis zu 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger als erwerbsfähig gelten. Laut Gesetz treffe dies auf Personen zu, die täglich drei Stunden arbeiten könnten, sagte Gemeindebund-Sprecher Franz-Reinhard Habbel. Dazu seien auch viele Suchtkranke oder behinderte Menschen in der Lage.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, äußerte Unverständnis darüber, dass die hohe Erwerbslosen- Quote bei den Sozialhilfeempfängern als Überrauschung gewertet werde. Schon im Sommer 2004 seien die Städte aufgrund ihrer Erfahrungen davon ausgegangen, dass 90 Prozent der Bedarfgemeinschaften ins Arbeitslosengeld-II-System wechseln würden, weil sie erwerbsfähig seien. Die Bundesregierung habe damals mit 75 Prozent gerechnet. «Unsere Annahme hat sich als richtig herausgestellt.»

Nach einer Umfrage der «Berliner Zeitung» sank die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Berlin von Dezember vergangenen Jahrs bis Januar dieses Jahres um rund 90 Prozent von 271 000 auf 26 500. In Schwerin lag der entsprechende Rückgang den Angaben zufolge bei 98,6 Prozent: die Zahl der Sozialhilfeempfänger ging von 8986 auf 125 zurück.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hatte den Kommunen vorgeworfen, auch offenkundig arbeitsunfähige Menschen ins Arbeitslosengeld II abzuschieben und Kosten auf den Bund abzuwälzen. Bei einem Treffen mit Kommunalvertretern wiederholte er die Vorwürfe am Mittwoch aber nicht, sondern verlangte von den Krankenkassen, Daten auf den Tisch zu legen. Die sollten dann mit den Kommunen geklärt und gegebenenfalls korrigiert werden.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verteidigte die Kommunen. «Bei den Hunderttausenden von Fällen kann keiner ausschließen, dass da auch der eine oder andere falsch eingruppiert ist», sagte Wowereit im ZDF. Das bewege sich aber im «Promillebereich».

Ein Regierungssprecher forderte Städte und Gemeinden indes erneut auf, die Entlastungen durch die Hartz-IV-Reformen für beschäftigungswirksame Investitionen zu nutzen. Dagegen erklärte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Articus, die Finanzlage der Kommunen sei noch immer sehr schlecht. «In diesem Jahr werden die Städte eine Deckungslücke in ihren Verwaltungshaushalten von sieben Milliarden Euro haben», sagte er der dpa. Auch 2005 werde daher ein Investitionsminus unvermeidbar sein.

Articus räumte ein, dass die Kommunen milliardenschwere Entlastungen bekämen, wenn 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger aus der Sozialhilfe herauskämen. Allerdings seien die Kommunen Träger der Unterbringungskosten für alle ALG-II-Empfänger, auch für die früheren Arbeitslosenhilfeempfänger. Es sei unstrittig, dass diese Kosten die Kommunen mehr belasten, als sie von der Sozialhilfe entlastet würden. Daher habe sich der Bund bereit erklärt, sich an den Kosten zu beteiligen. (tso) ()

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