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Beten als Protest. Muslime kommen ihren religiösen Pflichten weiterhin außerhalb des Tempelbergs nach.

© Ronen Zvulun/Reuters

Streit um den Jerusalemer Tempelberg: Warum Abbas den Hardliner gibt

Im Streit um den Tempelberg setzt der Palästinenser-Chef auf Konfrontation. Doch der 82-Jährige ist ein Getriebener – und von Israels Wohlwollen abhängig.

Es geht um Macht und Gefühle, Stärke und Schwäche, Politik und Religion, Propaganda und Provokationen. An kaum einem anderen Ort der Welt prallt all das so gefährlich aufeinander wie am Jerusalemer Tempelberg. Ein höchst sensibler Ort mit immenser symbolischer Bedeutung, der im Nahen Osten jederzeit das Zeug hat, wie ein Brandbeschleuniger zu wirken.

Die jüngste Konfrontation mit Toten und Verletzten zeigt, dass am Fuße der heiligen Stätten Al-Aksa-Moschee und Felsendom die Lage rasch außer Kontrolle geraten kann. Metalldetektoren an den Zugängen als Reaktion nach einem tödlichen Angriff auf israelische Polizisten genügten, um Wut und Massenproteste auszulösen. Zwar sind die Geräte inzwischen wieder verschwunden, aber der Zorn der Araber hat sich nicht gelegt.

Wieder Krawalle und Verletzte

Bei Krawallen wurden in der Nacht zu Mittwoch mehr als ein Dutzend Palästinenser verletzt. Wie in den vergangenen Tagen hatten Tausende Muslime in den Straßen im Bereich der Altstadt gebetet. Danach kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Trotz aller Versprechen der Regierung in Jerusalem, nichts am Status Quo ändern zu wollen, sind viele Palästinenser der festen Überzeugung, die „Besatzer“ wollten das gesamte Areal „judaisieren“. Diese Lesart besagt: Israel versucht, möglichst vielen Muslimen den Zutritt zur Moschee zu verwehren.

Kontakt abgebrochen

Dass diese Gerüchte sich hartnäckig halten, liegt nicht zuletzt an Mahmud Abbas. Der Palästinenserpräsident gibt seit einigen Tagen den Hardliner und hat die offiziellen Kontakte zu Israel eingefroren. Gespräche würde es erst wieder geben, wenn die Regierung von Benjamin Netanjahu alle „Maßnahmen“ am Tempelberg rückgängig macht. Gemeint sind damit „hochentwickelte Technologien“, die Israel statt der Metalldetektoren künftig zur Überwachung einsetzen will.

Palästinenserpräsident Abbas will derzeit mit Israel nichts zu tun haben.
Palästinenserpräsident Abbas will derzeit mit Israel nichts zu tun haben.

© Abbas Momani/AFP

Eigentlich kann Abbas an einer Eskalation keinerlei Interesse haben. Denn sein politisches Überleben hängt nicht zuletzt von Israels Wohlwollen ab: Ohne die sogenannte Sicherheitspartnerschaft mit dem „zionistischen Feind“ könnte sich der 82-Jährige die Hamas-Islamisten wohl kaum vom Leib halten. Ganz abgesehen davon, dass Israel der Garant für Strom, Wasser und Steuereinnahmen ist. Würde Abbas die Beziehungen zu Jerusalem tatsächlich endgültig aufkündigen, wäre die Autonomiebehörde politisch am Ende. Das wissen die Verantwortlichen in Ramallah ganz genau.

Kein Rückhalt bei den Palästinensern

Doch Abbas ist ein Getriebener. Er hat längst jeden Rückhalt im Volk verloren. Auf sein Wort geben die Palästinenser herzlich wenig. Deshalb spricht viel dafür, dass der alte Mann den religiösen Eiferer gibt, um sich bei seinen eigenen Leuten lieb Kind zu machen. Das ihm das tatsächlich gelingt, gilt allerdings als sehr unwahrscheinlich. Die Bannerträger des Zorns sind längst radikalere Kräfte.

Mit Hardlinern hat auch Netanjahu zu kämpfen. Die Rechtsaußen in seinen eigenen Reihen treiben den israelischen Regierungschef vor sich her. Würde er jetzt am Tempelberg klein beigeben und damit den heftigen Widerstand quasi belohnen, stünde er als Schwächling da. Sehr zur Freude nationalreligiöser Fanatiker. Die wollen nämlich am liebsten den einstigen jüdischen Tempel wieder aufbauen – auf dem Tempelberg.

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