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Streit um Gesundheitsreform: Was wird nun aus der Kopfpauschale?

Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat gegen die CSU eine politische Schlacht verloren. Nun muss er ein neues Konzept erarbeiten - mit Folgen für Patienten und Beitragszahler.

Mit einem fröhlichen „Moin“ begrüßt Philipp Rösler am Freitagvormittag die Journalisten. Der Gesundheitsminister lächelt, wirkt ausgeschlafen – und überhaupt nicht, als habe er am Vorabend eine entscheidende politische Schlacht verloren. Dabei ist gerade sein Konzept zum Umbau des Gesundheitssystems, auf das er acht Monate lang hingearbeitet hat, kassiert worden. Der FDP-Politiker muss es nun auf Geheiß der Parteivorsitzenden komplett neu und gemeinsam mit den Experten aus CDU und CSU erarbeiten – schnell.

Wer hat sich durchgesetzt?

Ganz klar, die CSU. Sie hat es mit massivem Druck geschafft, ein detailliertes Reformkonzept des Ministeriums, dem die Schwesterpartei CDU bereits Wohlwollen signalisiert hatte, in den Reißwolf zu befördern. Nach außen hin ging es den Christsozialen dabei zuvorderst um eines: die „ungerechte“ Kopfpauschale zu verhindern. Das lässt sich politisch verkaufen, auch wenn es inhaltlich höchst fragwürdig ist. Vereinbart wurde stattdessen nämlich eine „Weiterentwicklung der bisherigen einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträge“ – was nichts anderes bedeutet, als deutlich höhere Zusatzbeiträge. Auch die müssen allein von den Arbeitnehmern bezahlt werden und sind in ihrer Höhe unabhängig vom Einkommen. Ein anderes Wort also nur für ein ganz ähnliches Konzept – sagen sie selbst in der CDU. Er werde nach wie vor „in Richtung Teilprämienmodell“ gehen, beharrt auch Minister Rösler.

Faktisch erfolgreicher war die CSU in ihrem Widerstand gegen höhere Arbeitgeberbeiträge. Dies sei – so war zu hören und manche wunderten sich darüber – den Christsozialen weit wichtiger gewesen als alles andere. Rösler hatte von den Arbeitgebern 0,3 Prozentpunkte mehr gewollt. Das ist nun komplett vom Tisch. Ihr Anteil soll auf aktuellem Stand eingefroren werden, also bei 7,0 Prozent.

Der Erfolg, den Rösler zu verbuchen hat, ist winzig. Er kann wohl sein Versprechen halten, die Zusatzbeiträge für Geringverdiener ein wenig abzufedern. Details sind hier freilich noch nicht raus, möglicherweise bleibt es bei der vom Minister geplanten Beitragsstaffelung nach Einkommen. Und ein kleines Detail verschwieg der Minister am Freitag wohlweislich: Die zwei Milliarden Euro, die er aus Steuermitteln für den Sozialausgleich bekommt, gibt es nur im ersten Jahr.

Was bedeutet das alles für Philipp Rösler?

Politisch ein Desaster. Der FDP-Politiker hat seine politische Existenz mit der Systemumstellung verkoppelt. Nun muss er seinen Wählern erklären, warum der Ausgleich zwischen Arm und Reich nicht vom Krankenkassen- ins Steuersystem verlagert wird, wie er es immer gefordert hat. Außerdem hat Rösler auf ganzer Linie gegen diejenigen verloren, die er immer als zwar lästige, aber nicht so wichtige Störenfriede abgetan hat. Vielleicht, so räumt er am Freitag selbstkritisch ein, hätte er sich ja doch stärker um die CSU bemühen müssen.

Ob er nicht auch daran gedacht hat, sein Amt zur Verfügung zu stellen? Nein, sagt der Minister mit fester Stimme. „Weglaufen gilt nicht.“ Unter Anspielung auf seine vietnamesische Herkunft zitiert er ein Sprichwort aus Asien: „Bambus wiegt sich im Wind, biegt sich im Sturm, aber er bricht nicht.“ Schließlich ändere der politische Widerstand gegen seine Pläne nichts daran, dass der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr elf Milliarden Euro fehlten. Dieser Herausforderung müsse man sich stellen. Allerdings benötige er dazu „Unterstützung aus der gesamten Koalition“. Es habe ihn „empört“, dass „eine Partei, die sich in der Regierungsverantwortung befindet“, offenbar nicht bereit sei, Verantwortung zu übernehmen. Nur so lasse es sich erklären, dass man ein Modell ablehne, ohne eine Alternative zu präsentieren.

Welche Folgen hat das für die gesetzlich Versicherten? Zunächst einmal: Die 30 Euro, die jedes Krankenkassenmitglied nach Röslers Vorstellung im Monat zusätzlich zahlen sollte, sind vom Tisch. Allerdings wird es, darauf haben alle Beteiligten hingewiesen, deutlich höhere Zusatzbeiträge geben. Bis zu sieben Milliarden Euro müsse man auf diese Weise zusammenbekommen, sagte Rösler. Was ihm zufolge bedeutet, dass die Zusatzprämien auf stolze 15 bis 20 Euro klettern könnten. Je nach Kasse natürlich, die frei und im Wettbewerb damit jonglieren können. Bisher haben die meisten Anbieter auf diese Möglichkeit verzichtet, von den großen Anbietern nehmen bislang nur DAK und KKH acht Euro zusätzlich. Auch Geringverdiener müssen die Zusatzbeiträge bezahlen, sollen dafür aber einen Ausgleich erhalten. Wahrscheinlich erfolgt dieser über eine Ermäßigung beim Beitragssatz. Aus Sicht der CDU könnte es durchaus bei einer Staffelung der einkommensabhängigen Beiträge bleiben, wie sie Rösler vorgeschlagen hatte. Die damit verbundene Entlastung der Geringverdiener könne auch ein „Signal für den Arbeitsmarkt sein“, sagt CDU-Experte Jens Spahn.

Ob es für die Versicherten damit getan ist, bleibt abzuwarten. Beim Sparen werde es kein Tabu geben, hieß es. Und seitens der CSU wurden auch Leistungsausgrenzungen nicht ausgeschlossen.

Müssen Patienten nun mit einer Praxisgebühr für jeden Arztbesuch rechnen?

Auch darüber ist gesprochen worden – dem Vernehmen nach hat der CSU-Politiker Johannes Singhammer diese Idee in der Expertenrunde eingebracht. Und komplett ausgeschlossen hat Rösler solche Eintrittsgebühren am Freitag nicht. „Der Vorschlag stammt nicht von uns“, sagte er lediglich. Und dass er sich das „in dieser Form“ nicht vorstellen könne.

Fraglos ist, dass auf diese Weise viel Geld zusammenkäme. Im Schnitt geht jeder in Deutschland jährlich 18mal zum Arzt. Wenn dafür jedesmal zehn Euro verlangt würden, brächte dies gut zwölf Milliarden Euro – von denen man die Einnahmen aus der bisherigen Quartalsgebühr aber wieder abrechnen müsste. Außerdem würde sich die Zahl der Arztbesuche dann wohl stark verringern. Die Leidtragenden wären in jedem Fall alte und chronisch kranke Menschen, die besonders häufig zum Arzt müssen. Und mit Blick auf den Proteststurm, den Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) für die Einführung der zehn Euro pro Vierteljahr erntete, ist ein solcher Vorstoß wohl nur allerletzter Notbehelf.

Wie schwierig wird es, die vereinbarten vier Milliarden Euro einzusparen?

Öffentlich reden die Beteiligten von einer enormen Herausforderung. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass keiner wisse, wie ein derart ehrgeiziges Sparziel erreichbar ist. Zwar könnte Röslers Arzneisparpaket rund 1,5 Milliarden Euro bringen. Die restlichen 2,5 Milliarden jedoch seien selbst mit einer Nullrunde für die anderen großen Ausgabenblöcke – Ärzte und Kliniken – kaum zu erzielen. Ihnen ein Minus zu verpassen, werde sich aber kaum ein Politiker trauen. Bislang fordern alle mehr Geld. In den Krankenhäusern herrschen Pflegekräftemangel sowie ein riesiger Investitionsstau. Und selbst die Mediziner, die in den vergangenen Jahren gut bedient wurden, sehen ihren Nachholbedarf noch nicht gedeckt. Sie können, wie in der Vergangenheit bewiesen, politisch gewaltig Druck machen. Die Klinikärzte sind ja bereits wieder auf der Straße.

Wie geht es jetzt weiter?

Offenbar mit Dampf. Rösler erhielt grade mal zwei Wochen Zeit, um mit den Fraktionsexperten ein neues Modell zu entwickeln. Bei einer Klausur soll das Konzept dann gemeinsam verabschiedet werden soll. Die Eile ist schon rein verfahrenstechnisch geboten. Um zum Jahresbeginn ein Gesetz hinzubekommen, muss die Einigung bis zur Sommerpause stehen. Und die klammen Krankenkassen brauchen klare Vorgaben, um ihren Haushalt konzipieren zu können.

Aber hier geht der Streit schon wieder los. CDU und FDP beharren darauf, dass die CSU nun, nach allem was passiert sei, als erstes mit Vorschlägen kommen müsse. „Nur Nein zu sagen, geht nicht.“

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