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Streit um Synagoge: Zurück in die Mitte

Die Nazis haben die jüdische Gemeinde einst aus der Koblenzer Altstadt vertrieben. Sie könnte jetzt ihre ehemalige Synagoge wieder erwerben. Doch die Stadt will das Haus lieber einem Investor verkaufen.

Vor ein paar Jahren isolierten die Koblenzer Juden den Keller unter ihrer Synagoge. Dabei mussten sie tief in die Erde graben. Sie stießen auf Knochen. Menschenknochen. Das hat keinen in der Gemeinde gewundert, schockiert hat es trotzdem viele. Die Synagoge befindet sich in der früheren Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof. Anders als bei den Christen, wo viele Friedhöfe vor der Kirche liegen, verbietet das jüdische Religionsgesetz, dass die Lebenden Gottesdienste feiern, wo die Toten ruhen.

„Ein unhaltbarer Zustand“, sagt Heinz Kahn. Er ist 91 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt und ist der Vorsitzende der Gemeinde. Und er meint nicht nur die Verletzung der religiösen Vorschrift. Es geht auch darum, dass sie seit dem Kriegsende in einem Provisorium beten, das längst zu klein geworden ist. Heute hat die Gemeinde fast 1000 Mitglieder. Deshalb möchte sie an ihren historischen Standort in der Altstadt zurückkehren. Die Gelegenheit ist günstig, das ehemalige Gemeindehaus gehört der Stadt und steht leer.

1947 richteten die wenigen, die aus den Vernichtungslagern zurückgekehrt waren, in der Leichenhalle einen Betsaal ein. Es war eine Notlösung. Im Mai 2011 hat die jüdische Gemeinde ihren Wunsch angemeldet. Doch Oberbürgermeister und Stadtrat wollen den Bürresheimer Hof am Florinsmarkt an einen Unternehmer verkaufen. Er möchte dort mit seiner Stiftung ein Institut für nachhaltiges Wirtschaften und ein Gästehaus einrichten. An sich eine gute Idee. Finanzielle Gründe sprechen für ihn, auch sicherheitstechnische Argumente. Doch sollten für den Verkauf des Gebäudes, in dem sich früher die Synagoge befand, rein funktionale und wirtschaftliche Gründe den Ausschlag geben? Hat die Stadt nicht eine historische Verantwortung für die jüdische Gemeinde? Sollten ihre Wünsche nicht Vorrang haben? An diesem Donnerstag will der Stadtrat den Kaufvertrag mit dem Investor besiegeln.

Manche Koblenzer finden, dass die Stadt die Chance für eine „Wiedergutmachung“ vergibt, und appellieren in Leserbriefen in der „Rhein-Zeitung“ an das „ethische Gewissen“ der Politiker. Andere werfen der jüdischen Gemeinde vor, mit dem „Holocaust-Bonus“ Populismus zu betreiben, und wünschen sich eine „unemotionale“ Debatte. „Mit meinem Vater bin ich jeden Freitag zum Gottesdienst in die Synagoge im Bürresheimer Hof gegangen“, schrieb ein Mann. „Es tut mir in der Seele weh, wenn etwas anderes als eine Synagoge dort etabliert wird.“ Kann man da „unemotional“ reagieren?

„Als Politiker muss ich täglich Entscheidungen treffen, die Menschen in der Seele wehtun“, sagt Oberbürgermeister Joachim Hofmann-Göttig. Er ist 62, SPD-Mann, war Kulturstaatssekretär in der rheinland-pfälzischen Landesregierung und steht seit 2010 an der Spitze von Koblenz. Auf seiner Internetseite inszeniert er sich als Klartext-Redner: „Ich sage, was ich denke, und verspreche nichts, was ich nicht halten kann.“

Hofmann-Göttig empfängt im ballsaalgroßen Amtszimmer im Koblenzer Rathaus. Er antwortet mit stoischem Blick in die Ferne. Seine Sätze sollen sachlich klingen, sind aber hochemotional aufgeladen. Den Investor überschüttet er mit Lob. Der habe schon viel „geleistet“, sei glaubwürdig, angesehen, ein Mann „mit hoher Liquidität“. Seine Pläne passten zum Profil der Stadt und seien finanziell durchdacht. Zur jüdischen Gemeinde fällt ihm nicht viel Positives ein: finanziell „nicht vertrauenserweckend“, „imaginäres Konzept“, keine „Projektreife“. Auf ein solches „Vabanquespiel“ könne er sich nicht einlassen, er sei Kämmerer.

Der Bürresheimer Hof in der hübschen Koblenzer Altstadt wurde 1659 von einer Adelsfamilie im Barockstil errichtet. 1847 kaufte ihn die jüdische Gemeinde und baute ihn zur Synagoge um. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde das Haus von den Nazis verwüstet und enteignet. 1947 bekamen die Überlebenden das Grundstück zurück. Sie hatten aber kein Geld, um es zu bewirtschaften, und verkauften es an die Stadt. Die baute das Haus wieder auf und nutzte es als Jugendbücherei und Theaterbühne. Seit Mai steht es leer. Die Kultureinrichtungen sind umgezogen.

"Unzumutbare Belastung für die Nachbarn."

„Es gibt keinen Anspruch auf Rückgabe des Gebäudes, es gibt keine moralische Verpflichtung“, sagt der Oberbürgermeister. Das sei alles korrekt erledigt worden. Vielleicht könne er unbelasteter mit der Geschichte umgehen, fügt er zum Schluss noch an, weil er einen jüdischen Großvater habe. „Ich bin in der glücklichen Lage, sagen zu können, wir waren im Krieg nicht Täter, sondern Opfer.“

Ähnlich argumentieren auch die meisten anderen Stadtverordneten, egal welcher Partei. Sie betonen, dass sie sich wegen der Vergangenheit keinen „Hemmschuh“ anzögen oder dass der Bürresheimer Hof gar kein historischer Standort der jüdischen Gemeinde sei, weil es dort nur 80 Jahre lang eine Synagoge gab. Unerwähnt bleibt das furchtbare Ende.

Es ist nicht so, dass die Koblenzer geschichtsvergessen wären. Sie sind stolz auf die römische Vergangenheit, auch auf die „romantischen“ Adelshöfe, prächtigen Bürgerhäuser und das Deutsche Eck, wo Mosel und Rhein zusammenfließen und Kaiser Wilhelm thront. Dass hier seit fast 1000 Jahren Juden leben, ist im Stadtbild nicht erkennbar. Im Koblenzer Vorort Horchheim kämpft ein Verein seit zwölf Jahren dafür, wenigstens mit einer Gedenktafel an die jüdische Familie Mendelssohn erinnern zu dürfen, die hier ein Anwesen und Weinberge besaß und sich für arme Dienstmägde engagierte. Der Verein steht vor der Auflösung. „Es hat keinen Sinn“, sagt der Vereinsvorsitzende, „wir laufen gegen eine Wand.“ Immerhin konnte ein privater Freundeskreis am Bürresheimer Hof eine Plakette anbringen und auf die frühere Synagoge hinweisen.

Eine halbe Stunde zu Fuß an der Mosel entlang weiten sich die Altstadtgassen zur vierspurigen Schlachthofstraße mit Feuerwehr, Tüv und anderen Behörden. Dass dazwischen der jüdische Friedhof und die Synagoge liegen, fällt nicht auf. Es steht auch keine Polizei vor der Tür. Bislang war der Schutz nicht nötig. Nach Ansicht vieler Stadträte würde sich das mit dem Umzug in die Innenstadt ändern. Die Synagoge würde Nazis und Islamisten anziehen und wäre dadurch eine „unzumutbare Belastung für die Nachbarn“, wie Christian Altmaier, SPD, sagt. Deshalb sei ein Standort außerhalb geeigneter.

Im Keller knöpft sich Joseph Pasternak das Jackett zu und legt den Gebetsschal um. Hier unten ist sein zweites Zuhause. Er ist Kantor der Gemeinde und wird gleich oben in der Synagoge den Gottesdienst zum Neujahrsfest leiten. Es wird nach jüdischem Kalender Anfang September gefeiert. Pasternak zieht den Kopf ein und vermeidet ausholende Bewegungen, um nicht an Heizungsrohren unter der Decke oder an der Türklinke hängen zu bleiben. Es riecht feucht, Tageslicht fällt nur spärlich durch vergitterte Fensterluken. Mit weißer Farbe hat Pasternak gegen die Tristesse angestrichen. Auf dem Tisch steht ein Blumenstrauß. Heute Abend wird er mit seiner Frau hier übernachten, so wie sie es auch jeden Freitagabend nach dem Schabbatgottesdienst tun. An Schabbat und hohen Festtagen dürfen fromme Juden weder mit dem Auto noch mit dem Bus fahren. So will es das Religionsgesetz. Die Pasternaks wohnen zu weit weg, um zu laufen.

„Im Bürresheimer Hof könnten die Pasternaks eine Wohnung bekommen und müssten nicht im Keller übernachten“, hatte der Gemeindevorsitzende Heinz Kahn vor dem Neujahrsfest gesagt. Bereitwillig hatte er aus seinem Leben erzählt, davon, wie er und seine Familie von den Nazis verfolgt wurden. Als er berichtete, wie er an der Rampe in Auschwitz von seinem Vater getrennt wurde, versagte ihm die Stimme. Nach dem Krieg hat sich Kahn ein neues Leben aufgebaut, Tiermedizin studiert und sich mit Frau und Kindern in der Nähe von Koblenz niedergelassen, seit 60 Jahren engagiert er sich in der Gemeinde.

„Wir wollen an den historischen Standort zurückkehren, um die Tradition zu wahren“, sagte er. „Das sind wir den Toten schuldig.“ In einem Interview hatte Kahn vor einigen Monaten Verständnis dafür geäußert, dass die Stadt den Bürresheimer Hof an einen finanzkräftigen Investor verkaufen wolle. Der Satz wird der Gemeinde seitdem entgegengehalten – gerne mit dem Zusatz, Herr Kahn sei ein „vernünftiger“ Mensch. Als hätte der Holocaust-Überlebende den Koblenzern damit die Lizenz gegeben, sich unempfindlich, taub und blind stellen zu dürfen. Dabei hat sich Kahn immer wieder schriftlich und mündlich für eine Rückkehr an den alten Standort ausgesprochen, er hat für 5000 Euro ein Konzept für den Umbau des Gebäudes erarbeiten lassen. Vier Millionen Euro würde der Ankauf und Umbau des Gebäudes kosten. Ein Drittel will die Gemeinde selbst aufbringen, ein Drittel müsste die Stadt zuschießen, ein Drittel das Land. Bei Kahns 90. Geburtstag 2012 hat der damalige SPD-Ministerpräsident Kurt Beck die „finanzielle Unterstützung“ des Landes zugesagt. Viele Gäste haben es gehört, auch der Oberbürgermeister. „Nach dem, was ich erlebt habe, trete ich nicht als Bittsteller vor die Stadt“, sagt Kahn. Es klingt verbittert.

Martin Görlitz, 58, potenzieller Investor, Unternehmer, Stifter, Koblenzer, ist die Situation mittlerweile unheimlich geworden. Er kommt bescheiden in Jeans und Hemd daher, das viele Lob des Oberbürgermeisters ist ihm peinlich. Auf keinen Fall will er als Gegenspieler der jüdischen Gemeinde dastehen. In einem Café in der Altstadt erzählt er, wie er als Kind in der Jugendbibliothek im Bürresheimer Hof Bücher ausgeliehen hat, wie er als Jugendlicher gerne tüftelte und schraubte und noch vor dem Abitur eine Firma gründete. Später verdiente er viel Geld mit Messtechnik im Energiebereich. Heute sucht er mit seiner Stiftung nach Wegen für umweltschonendes Wirtschaften und begeistert Kinder für Windkraft und Solarenergie. Görlitz hat der Stadt angeboten, alle vier leer stehenden Häuser zu kaufen, zu sanieren und durch Veranstaltungen teilweise öffentlich zugänglich zu machen. So will er seiner Stiftung und seiner Heimatstadt Gutes tun. Jetzt kam sein Sohn von der Schule heim und fragte, was das sei mit der Synagoge und warum er, sein Vater, böse sei. Mitschüler wurden angesprochen, ob sie ihre Unterschrift für die „Wiedergutmachung“ an der jüdischen Gemeinde und gegen den Verkauf an die Görlitz-Stiftung hergeben wollen. „Das muss ich nicht haben“, sagt Görlitz. Er überlegt, ob er von dem Projekt zurücktreten soll.

Es gab etliche Treffen, um Lösungen zu suchen. Die jüdische Gemeinde nahm teil, manchmal auch Martin Görlitz, als Vertretung der Stadt schickte der Oberbürgermeister Mitarbeiter aus dem Amt für Wirtschaftsförderung. Es wurden Briefe ausgetauscht, in denen viel von „freundlicher Gesprächsatmosphäre“ steht. Und doch reden alle aneinander vorbei, weil jeder nur das versteht, was er verstehen will.

Einer, der sich als Moderator um Ausgleich bemüht, ist Rolf Stahl. Er ist der Chef des evangelischen Kirchenkreises. Er habe viel Unschönes gehört bei den Treffen mit der Stadt, sagt Stahl, ressentimentgeladene Äußerungen gegen die Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion, die heute die Mehrheit der jüdischen Gemeinde ausmachen. Er hat dazu beigetragen, dass nicht nur über die jüdische Gemeinde gesprochen wurde, sondern dass sich die Vorsitzenden selbst zu Wort meldeten.

Aus der Geschichte lernen, heißt für Stahl, die jüdische Gemeinde nicht zu behandeln wie jeden beliebigen Investor. Sondern Rücksicht darauf zu nehmen, dass der Gemeindevorsitzende alt und gebrechlich ist, dass sein Stellvertreter mit der deutschen Sprache kämpft und die Gemeinde nicht aus Millionären besteht. „Ist doch klar, dass die mit Investoren-Profis nicht mithalten können.“

Andernorts in Deutschland wird der jüdischen Gemeinschaft geholfen, wo es geht, der Bundespräsident hat gerade erst das durch die Waffen-SS zerstörte, französische Dorf Oradour-sur-Glane besucht. Die Versöhnung stehe im Vordergrund, sagt Stahl. Er findet es „beschämend“, dass die Koblenzer Politiker nur auf das ökonomisch Nützliche schauten und die Gemeinde als Störfaktor wahrnehmen.

Dass die Überlebenden ihn eingeladen haben, sei eine „Geste der Versöhnung, eine Geste, die man nicht erbitten, die man nur geschenkt bekommen kann“, hat Joachim Gauck in Oradour gesagt. Die Gelegenheit, den Koblenzer Juden ihren Wunsch zu erfüllen, sei auch ein solches Geschenk, sagt Stahl. Leider hätten das die Verantwortlichen der Stadt nicht begriffen.

Erschienen auf der Dritten Seite.

Claudia Keller

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