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Der Youtube-Star Rezo.

© imago images / DeFodi

Streit um YouTube-Video: Rezos Wutausbruch ist eine Chance für die CDU

Die CDU und junge Menschen sprechen schon lange nicht mehr dieselbe Sprache. Die Partei sollte sie endlich ernst nehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Man bekommt ja das Gefühl, man müsse die beiden einander vorstellen: Liebe Generation Youtube, die da mit den Anzügen und Kostümen, das ist die Union. Liebe Union, der Typ mit den blauen Haaren und seine vielen Millionen Fans, das ist die Generation Youtube, eure künftigen Wähler. Zumindest potenziell. Interessant und erschreckend, dass ihr euch bisher offenbar nie kennengelernt habt. Schön, dass es jetzt klappt. Es gibt ja einiges zu besprechen.

Der Youtube-Star Rezo hat kürzlich ein politisches Video produziert, in dem er der Union vorwirft, die Zukunft der Jugendlichen zu zerstören, sie verantwortlich macht für soziale Ungerechtigkeit. Mehr als fünf Millionen Mal wurde es angeklickt. Man darf unterstellen, dass die wenigsten im Parteivorstand zuvor je von ihm gehört hatten.

Auf der anderen Seite muss auch Rezo für seine Fans erstmal Grundlagen schaffen. Er erklärt zum Beispiel, dass es die CDU gebe und dass die schon ganz lange regiere. Wäre sein Video nicht mit so viel Wut vorgetragen und konzentrierte sich nicht vornehmlich auf eine Partei, man könnte es für ein Stück politische Bildungsarbeit halten. So ist es „nur“ ein Kommentar. Aber eben einer, der eine Debatte provoziert hat zwischen zwei Welten, die schon lange nicht mehr diesselbe Sprache sprechen.

Erst ignorieren, dann belächeln, schließlich bekämpfen

Wann immer sich in letzter Zeit diese Generation zu Wort gemeldet hat, lief es nach dem gleichen Muster ab. Erst ignorieren, dann belächeln, schließlich bekämpfen. Nur ernstnehmen ist noch nicht im Repertoire. Das sah man zuletzt bei den Friday-for-Future-Protesten für entschlosseneren Klimaschutz und bei dem Aufstand gegen Artikel 13 im Streit um Urheberrecht und Uploadfilter.

Im Fall von Rezo hielt die Union ihm in ersten Reaktionen „unsaubere Recherche“ und „Pseudo Fakten“ vor. Ein Antwort-Video, in dem der junge CDU-Abgeordnete Philipp Amthor sprechen sollte, wurde vom Parteivorstand in letzter Minute gestoppt. Begründung: Man wolle sich nicht auf eine „Video-Schlacht“ einlassen. Nicht auf dieses Niveau herabbegeben, so kann man das auch lesen. Stattdessen veröffentlichte die Union ein elfseitiges Verteidigungsschreiben als PDF auf ihrer Website. Dass das unter jungen Leuten viral geht, ist unwahrscheinlich. Und nun, da sich Rezos Wutausbruch absehbar nicht mehr weglächeln lässt, wird er zum Gespräch eingeladen. Zu den eigenen Bedingungen natürlich. So richtet sich jeder nur an seine eigene Kommunikationsblase.

Nicht nur die Union hat keinen geeigneten Weg gefunden, mit dem Verständnis dieser Generation von politischem Aktionismus umzugehen. Viele junge Wählerinnen und Wähler sind bereit, sich für ganz bestimmte politische Ziele zu engagieren, punktuell, und dann mit hoher Intensität. Es sind die großen Themen unserer Zeit. Klimawandel, Digitalisierung, Krieg und Frieden. Aus dieser Logik heraus hat es keinen Sinn, diese alles überwölbenden Themen über eine Mitgliedschaft in die Parteien zu tragen, als hätte sich die Welt in den vergangenen 20 Jahren nicht rasant verändert, erforderte nicht schnelleres, flexibleres Handeln.

Die Krise der Politik, die letztlich eine Krise der Parteien ist, lässt sich in Zahlen darstellen. Nur acht Prozent der Parteimitglieder waren 2018 unter 30 Jahre alt. Die Wahlbeteiligung der unter 30-Jährigen sackte von mehr als 80 Prozent zu Spitzenzeiten auf 67 Prozent ab.

Man kann diese Generation deshalb für bequem halten. Nur täten die Funktionäre gut daran, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und andere Angebote für die politischen Partizipation zu finden.

Insofern liegt für die CDU eine Chance in Rezos Wutausbruch. Er hat ein Fenster geöffnet in eine Welt, in der Namen wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Paul Ziemiak und Philipp Amthor bisher keine Rolle gespielt haben. Er hat der Union das verschafft – wenn auch zunächst im negativen Sinne –, was die meisten Parteien bei dieser Generation längst verloren haben: Aufmerksamkeit.

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