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Noch bestimmt der Vorsitzende und nicht Rainer Brüderle den Kurs der FDP in den Verhandlungen im Koalitionskreis.

© dpa

Streit ums Betreuungsgeld: Offener Machtkampf in der FDP

FDP-Fraktionschef Brüderle geht in Streitfragen auf die Union zu. Ein Affront gegen Parteichef Rösler.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Wenn Rainer Brüderle davon spricht, dass seine Partei in Sachen Betreuungsgeld „vertragstreu“ sei, dann klingt das für unvoreingenommene Hörer vielleicht nach einer Selbstverständlichkeit. Die FDP ist einer von den drei Regierungspartnern, die in ihrem Koalitionsvertrag 2009 unter anderem die Einführung eines Betreuungsgeldes für Kinder vereinbart haben, die nicht in eine Kita gehen. Brüderle ist Fraktionschef dieser FDP. Also, alles normal. Das Problem ist nur, dass zehn Tage vor dem nächsten und, wie manche glauben, höchst entscheidenden Treffen der Koalitionsspitzen in Berlin unvoreingenommene Hörer selten geworden sind.

Brüderle müsste das eigentlich wissen. Trotzdem hat er am Mittwoch in seiner wöchentlichen Journalistenrunde nicht nur versichert, dass die FDP beim Betreuungsgeld „vertragstreu“ sei. Der Fraktionschef hat auch noch in Sachen der Gesundheitspolitik einen Schritt auf die Union zu gemacht: Dass es eine Entlastung der gesetzlich Krankenversicherten geben solle, darüber sei man ja „einig“ – denkbar sei die Abschaffung der Praxisgebühr, die Senkung der Beiträge oder eine Mischung aus beiden.

Die Sätze lösten Eilmeldungen aus. Die wiederum führten bei der Union zu Rätselraten und bei der FDP zu Alarm. Hatte nicht der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler gerade erst alle Ideen des Koalitionspartners derart verworfen, dass man sich fragen konnte, worüber er am 4. November überhaupt noch mit Angela Merkel und Horst Seehofer reden will? Zog also, munkelten Unionspolitiker, da gerade der Fraktionschef dem Parteichef mit Konsenssignalen den Boden unter den Füßen weg? Denn irgendwelche Gespräche auf Fraktionsebene, das wussten sie ja bei CDU und CSU, hatte es nicht gegeben, aufgrund derer Brüderle Kompromisse schon jetzt in Aussicht stellen könnte.

Woraus man also ablesen kann: In einer Koalition, in der einer dem anderen nicht über den Weg traut, können sich Selbstverständlichkeiten leicht zu politischen Erdbeben entwickeln. Das ist für diesmal ausgeblieben; dank stiller Diplomatie im Reichstag blieb jedwede öffentliche Reaktion aus der Unionsspitze auf Brüderles Hinweise aus.

Was bleibt, ist Misstrauen.

Was bleibt, ist das Misstrauen, vor allem innerhalb der FDP. Die Partei kommt und kommt nicht aus den miesen Umfragewerten heraus. Diese Woche bekennen sich in einer Umfrage nur noch ganze drei Prozent der Befragten zur liberalen Partei. Ein neuer Tiefpunkt, der drei Monate vor der wichtigen Landtagswahl in Niedersachsen den Druck auf den Vorsitzenden Philipp Rösler erhöht.

Rösler hatte am Wochenende versucht, sich mit einem kämpferischen Interview als mutigen Sachwalter liberaler Interessen in Erinnerung zu bringen. Ganz offen bezog er Stellung gegen politische Ziele seiner eigenen Koalition, weshalb er heftiges Kopfschütteln in der Union und auch in seiner eigenen Partei erntete. „Der Mann zeigt Nerven“, wurde einhellig festgestellt. Das Unverständnis galt insbesondere Röslers Äußerungen zum Betreuungsgeld. Er forderte aus heiterem Himmel eine Gegenfinanzierung im Haushalt und eine Bildungskomponente. Wie die nach den Vorstellungen des FDP-Chefs aussehen soll, darauf warten sie in der Union bisher vergeblich. Ohnehin hofft inzwischen jedermann in der Koalition, das unschöne Thema ohne weitere Aufregung beschließen und hernach möglichst rasch vergessen zu können.

Einer von denen ist der erfahrene Parlamentarier Brüderle. Dessen Ziel ist es eigentlich, diese glücklose Koalition wenigstens kurz vor der Bundestagswahl in einem etwas freundlichen Licht erscheinen zu lassen. In der FDP, aber auch in der Union sehnen sich viele nach dem Moment, in dem der Altbewährte Rösler als Parteichef ablöst, wenigstens für eine Übergangszeit. Rösler weiß das auch. Und wie es scheint, hat er Brüderles Versicherung der Vertragstreue genauso verstanden wie andere: als kaum verdeckten Affront. „Es gibt weiterhin offene Fragen“, ließ er seinen Fraktionsvorsitzenden schließlich per Parteisprecher ausrichten. Das soll wohl heißen: Noch bestimmt der Vorsitzende und nicht Rainer Brüderle den Kurs der FDP in den Verhandlungen im Koalitionskreis.

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