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Politik: Streitigkeiten überschatten Gedenkfeiern

In Spanien wird seit einem Jahr über Hintergründe und Folgen der Terroranschläge gestritten - selbst die Planungen der Gedenkfeiern blieben von den politischen Grabenkämpfen nicht verschont. (10.03.2005, 19:19 Uhr)

Madrid - Nicht einmal über das Glockengeläut konnte man sich verständigen. Um 7.37 Uhr läuten an diesem Freitag in allen 650 Kirchen in Madrid und Umgebung fünf Minuten lang die Glocken. Genau zu dieser Zeit vor einem Jahr waren in vier Pendlerzügen der spanischen Hauptstadt zehn Bomben explodiert, die 191 Menschen in den Tod rissen. Die Angehörigen der Opfer protestierten vergeblich gegen das Geläut: «Damit steigert man den Schmerz ins Unerträgliche», sagte eine Sprecherin. «Niemand möchte auf diese Weise an die Tragödie erinnert werden.»

Die Kirchenglocken sind längst nicht der einzige Streitpunkt. Eine ganze Reihe von Zwistigkeiten überschatten die Gedenkfeiern zu den Anschlägen vom 11. März. Die eigentlich Betroffenen - die Angehörigen der Toten und Verletzten - entschieden, an keiner der Feierlichkeiten teilzunehmen. «Für uns wird der Gedenktag ein Tag des Schweigens sein», erklärte Pilar Manjón, die Präsidentin einer Vereinigung von Terroropfern.

Die Angehörigen werden nicht dabei sein, wenn in den drei Bahnhöfen, in denen die Bomben explodierten, Schweigeminuten abgehalten werden. Sie werden fehlen, wenn König Juan Carlos im Retiro-Park den «Wald der Abwesenden» einweihen wird. Der «Wald» ist eine Gedenkstätte mit 192 Zypressen und Olivenbäumen. Die Bäume wurden zu Ehren der 191 Anschlagsopfer und jenes Polizisten angepflanzt, der beim Selbstmord der Bombenleger getötet wurde.

Streit herrscht auch zwischen den Politikern. Der Untersuchungsausschuss, den das Parlament zur Aufklärung der Hintergründe der Attentate einberufen hatte, wollte rechtzeitig zum Jahrestag Schlussfolgerungen vorlegen, die von allen Parteien mitgetragen werden. Die konservative Volkspartei (PP) versagte jedoch ihre Zustimmung. Dabei hatten die Abgeordneten aus dem Entwurf eigens alle Passagen gestrichen, die als Kritik am früheren Ministerpräsidenten José María Aznar (PP) verstanden werden konnten.

Die Grabenkämpfe der Politiker stießen in der Bevölkerung auf Unverständnis, bei den Angehörigen der Opfer auf helle Empörung. «Die politischen Spielchen sind ein Betrug», beklagte sich Manjón, die bei den Anschlägen einen Sohn verloren hatte. «Die Parteien sind nur auf ihren politischen Nutzen aus.»

Spanien hat das Trauma der schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte des Landes ein Jahr später längst nicht überwunden. Das politische Klima zwischen den großen Parteien ist vergiftet. Die regierenden Sozialisten (PSOE) müssen mit dem Vorwurf leben, die Wahlen vom 14. März 2004 nur deshalb gewonnen zu haben, weil drei Tage zuvor die Terroranschläge verübt worden waren. Die PP ist noch immer wie traumatisiert, weil sie sich um den sicher geglaubten Wahlsieg betrogen fühlt. (Von Hubert Kahl, dpa) ()

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