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Politik: Streng nach Protokoll

Der Eindruck von der deutschen Bundeskanzlerin in Frankreich bleibt flüchtig – sie wirkt unsicher

Angela Merkel wirkt ernst. Das heitere Lächeln, das man in den vergangenen Tagen an der deutschen Bundeskanzlerin beobachten konnte, ist verflogen. Angespannt blickt sie in die Menge der Reporter, die sich im Salon Napoleon III im Elysee-Palast drängeln, während ihr Gastgeber, Frankreichs Präsident Jacques Chirac, nach dem „sehr herzlichen Willkommen“ für die „Madame la Chancelière“ die deutsch-französische Freundschaft als „etwas Besonderes“ lobt und es nicht auslässt, an die „Zusammenstöße in der Geschichte“ zu erinnern, aus denen die „Wurzeln unserer heutigen Zusammenarbeit“ entsprungen seien.

Es ist der erste Auftritt Merkels als deutsche Regierungschefin im Ausland. Einer ungeschriebenen Regel folgend findet er auf Pariser Parkett statt, das ihr von früheren Besuchen an der Seine nicht ganz fremd ist, auf dem sie sich aber durchaus noch unsicher zu fühlen scheint. So liest sie auch ihre Erwiderung, in der sie Chirac ihrer „tiefen Überzeugung“ versichert, wie wichtig ein gutes deutsch-französisches Verhältnis für beide Länder und für Europa sei, mit fast unbewegter Miene vom vorbereiteten Sprechzettel ab. Erst einer französischen Journalistin gelingt es, Merkel ein Lächeln zu entlocken. Auf die Frage, ob sich die Tatsache, dass sie eine Frau sei und aus dem anderen Teil Deutschlands komme, auf die deutsch-französischen Beziehungen auswirken werde, antwortet Merkel „nein“ und schüttelt lachend den Kopf. Man habe in „gutem Geist“ miteinander gesprochen, das werde man beibehalten und vertiefen. „Dass ich eine Frau bin, ist für unsere Gespräche kein Nachteil“, versichert sie, was dann auch Jacques Chirac mit Lachen quittiert.

Die Zeit für diese erste Begegnung zwischen dem Präsidenten und der Kanzlerin war knapp bemessen: eine halbstündige Unterredung, ein Treffen mit der Presse, und dann ging es nach einem eiligen Mittagessen auch schon weiter nach Brüssel, wo Merkel sich zu Antrittsbesuchen bei der Nato, der EU-Kommission, dem Europaparlament und der belgischen Regierung angesagt hatte. Wie dieser erste verlief, blieb den Beobachtern am Mittwoch zunächst verborgen. Chirac zeigte sich jedenfalls bemüht, der Bundeskanzlerin alle protokollarischen und persönlichen Ehrungen zuteil werden zu lassen. Zu ihrer Begrüßung schritt er die Stufen der Freitreppe des Elysee-Palastes hinab. Eine Umarmung, wie er sie mit Schröder pflegte, verbot sich natürlich. Zum erwarteten Handkuss kam es allerdings auch nicht. Da Merkel dem Präsidenten ihre Rechte nicht hoch genug entgegenhielt, konnte er diese ritterliche Geste, die er wie kein anderer Staatsmann beherrscht, nur durch eine leichte Verbeugung andeuten.

Die französischen Öffentlichkeit sah Merkel mit Neugier entgegen. Die Zeitung „Le Monde“ widmete ihr ein ganzseitiges Porträt. Es klang aber auch Skepsis an. „Ich hoffe, sie wird Chirac vom Kniefall vor dem russischen Präsidenten Putin abbringen“, merkte zum Beispiel der Politologe Alfred Grosser an. Er befürchtet auch, dass die in der Koalitionsvereinbarung enthaltene Aussage zur europäischen Agrarpolitik das Verhältnis zu London belasten werde, Merkels nächster Auslandsstation am heutigen Donnerstag. Eine Vermittlerrolle zwischen Paris und London im Streit um die EU-Finanzierung sieht Merkel für sich indes nicht. „Ich vertrete deutsche Interessen“, sagt sie im Beisein Chiracs auf eine entsprechende Reporterfrage.

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