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Stromabwärts: Altmaier schwimmt die Energiewende davon

Diese Billion, sie verfolgt ihn. So viel Geld, sagte Peter Altmaier, werde die deutsche Energiewende kosten. Damit wollte er die Menschen beruhigen, aber er bewirkte das Gegenteil. Der Mann, der mit jedem reden kann, erreicht derzeit niemanden mehr – und wird nicht erreicht.

Was für eine Aufgabe. Das einzige nationale Großprojekt in Deutschland, und er hätte es richten sollen. Die Energiewende managen. Dafür hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren treuen Weggefährten Peter Altmaier im Mai 2012 zum Umweltminister gemacht. Er soll vorantreiben, was seit ihrem impulsiven Atomausstieg zum drängenden Problem geworden ist. Doch er kann es nicht.

Das liegt nicht an Peter Altmaier allein. Niemand könnte es. Wäre die Energiewende ein Orchester, so würden die Musiker wild durcheinander spielen. Ein anschwellendes, eitles Crescendo gegenläufiger und partikularer Interessen wäre zu hören. Jeder Musiker hätte nur sein eigenes kleines Segment der Sinfonie verstanden. So etwas kann man nicht steuern. Entsprechend klingt das Orchester. Immer irgendwie falsch. Und jeder blickt auf den Dirigenten.

Dieser Dirigent ist Peter Altmaier. Vor dem vielleicht entscheidenden Energiegipfel seiner kurzen Amtszeit ist er am Ende seiner Kräfte. Man merkt das daran, dass er immer gleich klingt. Das passt nicht zu dem Mann, der mit seiner direkten, forschen Herzlichkeit selbst als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion nicht wie ein Politiker klang.

Seit seinem ersten Tag im Ministeramt redet er täglich mit Dutzenden und vor hunderten Menschen. Das Thema ist immer dasselbe: die Energiewende. Er wirbelt pausenlos. Das hat Spuren hinterlassen. Inzwischen ist Peter Altmaier so müde, dass er, wird eine Frage an ihn gerichtet, in die tiefen Spurrillen seiner schon oft erprobten Sätze rutscht, ob die nun als Antwort geeignet sind oder nicht. Altmaier, der große Kommunikator, der mit jedem reden kann, erreicht derzeit niemanden mehr – und wird nicht erreicht.

Vor wenigen Tagen bei der Hertie School of Governance. Der Saarländer, Sohn eines Bergarbeiters, soll vor der künftigen Regierungselite aus aller Welt mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann diskutieren. Aber er steht regelrecht neben sich, wirkt fahrig und unkonzentriert. Was vor allem an einer Zahl liegt, einer ziemlich großen Zahl, manche sagen einer viel zu großen Zahl. Und solche Zahlen machen den Menschen Angst.

In einem Interview hat Altmaier gesagt, die Energiewende könnte bis zu einer Billion Euro kosten. Seither muss er diese Zahl überall rechtfertigen.

Kretschmann sagt empört: „Die Leute verwechseln schon Millionen und Milliarden, und dann kommen Sie mit einer Billion.“ Kichern im Saal.

Altmaier guckt gequält, sagt dann: „Wenn wir nichts unternehmen, kann die Energiewende bis 2042 eine Billion Euro kosten.“ Darauf schnaubt Kretschmann: „Wenn wir nichts machen. Ach, Gottchen ...“

Wie kommt der Minister auf diese Zahl, die mit 34,48 Milliarden Euro pro Jahr etwa drei Mal so hoch ist wie die Investitionen der Energieunternehmen in den vergangenen drei Jahren?

Greenpeace rief zum Protest gegen die "Wendebremse" auf

Die Billion verfolgt Altmaier. Sogar bis nach Moabit, wo der Minister am Jahrestag der Atomkatastrophe in Fukushima an der Ersten Gemeinschaftsschule Berlins eine Energiesparinitiative für Schulen vorstellt. Doch damit ist er sichtlich überfordert. Er müht sich um eine verständliche Sprache, als er in der auch hier voll besetzten Aula die Vorzüge des Energiesparens preist. Er hat dabei den Tonfall eines netten Onkels angenommen, der seine Neffen und Nichten einmal im Jahr sieht. Genau der falsche Ton, um mit den Jugendlichen hier eine kleine Talkshow zu bestehen. Denn die sind gut vorbereitet. Altmaiers Antworten fallen ziemlich allgemein aus. Er, der doch mit allen kann, kann es hier wieder nicht.

Stattdessen liefert er sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein kleines Scharmützel mit einem Redakteur der „Tageszeitung“. Altmaier will seine Billion auf einer Taz-Seite erklären, der Redakteur will ihn auf einer Seite interviewen. Die beiden kommen nicht zusammen. Altmaier hat seine Billion bis heute nicht im Detail erklärt, dafür hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in einem Kurzgutachten die Zahlen schon einmal auseinandergenommen und kommt zu dem Schluss – eine Horrorzahl ohne sachliche Basis. Altmaier twitterte daraufhin empört: „Diese angebliche Studie ist mit das Dümmste, was mir in letzter Zeit untergekommen ist. Unglaublich.“

Altmaiers Billion macht einen Erfolg beim Energiegipfel an diesem Donnerstag noch schwerer. Im Kanzleramt trifft sich Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder. Angesichts des aktuellen Verhandlungsstandes zwischen Bund und Ländern kann er nur scheitern. Das von Altmaier „Strompreisstabilisierung“ getaufte Konzept, das vor allem eine Bremse für die Erneuerbare-Energien-Umlage sein soll, hat wenig Chancen auf Umsetzung.

Dabei hat Altmaier monatelang kaum über etwas anderes als die Kosten der Energiewende geredet. Als im vergangenen Herbst absehbar war, dass die EEG-Umlage deutlich steigen würde, von 3,5 auf 5,27 Cent pro Kilowattstunde, wollte Altmaier vorbereitet sein. Seine Beamten haben nächtelang gerechnet und nach Argumenten gesucht. Altmaier wollte die Debatte mit seinem Plädoyer für eine „bezahlbare Energiewende“ offensiv abfangen – und sie so zum Verstummen bringen. Erreicht hat er das Gegenteil. Derzeit wird nur noch über die hohen Kosten geredet.

Auch Altmaiers Vorschlag einer „Strompreisbremse“ verfehlte ihr Ziel. Als zu Beginn dieses Jahres absehbar war, dass Prognosefehler über die Höhe des Strompreises an der Börse in Leipzig auch kommenden Herbst zu einer weiteren Erhöhung der EEG-Umlage führen würden, musste Altmaier schnell handeln. Die Mitarbeiter im Umweltministerium werden schon mal zu nächtlicher Stunde an den Küchentisch in seiner Charlottenburger Wohnung zitiert. Heraus kam diesmal mit der „Strompreisbremse“ etwas, das von den Umweltverbänden bald zur „Energiewendebremse“ erklärt worden ist.

Wenn das Orchester der Energiewirtschaft an diesem Punkt ganz besonders ungestüm durcheinanderspielt, dann weil Altmaiers Vorschlag auf den kompliziertesten Teil der Wende zielte. Denn in der EEG-Umlage, deren Anteil er einzufrieren hoffte, verstecken sich neben den Kosten für bereits angeschlossene Windräder, Solaranlagen oder Biogasanlagen auch Subventionen für die energieintensiven Industrien sowie bilanztechnische Sonderposten. Bis 2010 waren 70 Terawattstunden Strom – das entspricht 70 Milliarden Kilowattstunden – von der EEG-Umlage befreit, inzwischen sind es knapp 100 Terawattstunden. Allein den alten Zustand wiederherzustellen würde die EEG-Umlage um 0,44 Cent senken, rechnet der Energieexperte des Öko-Instituts, Felix Matthes, vor. Altmaier und sein Kabinettskollege Wirtschaftsminister Philipp Rösler wollen der Industrie aber lediglich etwa 700 Millionen Euro wieder wegnehmen, ohne zu sagen, wo genau.

Altmaier im Tweetstorm: „Danke, aber es sind zu viele".

Genau das erbittert einen wie Oliver Bell. Er ist Chef der Aluminiumsparte beim norwegischen Norsk-Hydro-Konzern und hat das Rheinwerk in Neuss im Blick. Dort wird seit dem vergangenen Sommer wieder in geringem Umfang Aluminium hergestellt, also das aus dem Rohmaterial Bauxit gewonnene Aluminiumoxid bei sehr hohen Temperaturen und entsprechend hohem Energieeinsatz chemisch aufgespalten. „Wir sind auf der Kante mit dem Rheinwerk“, sagt der Manager. Monatelang sei es mit Kurzarbeit durchgeschleppt worden. Doch die Qualität der hier hergestellten neun Meter langen Aluminiumblöcke ist höher als andernorts. Wenn der Strompreis steigt, weil die Industrie wieder mehr für den Ausbau erneuerbarer Energien aufbringen soll, dann „rechnet sich das nicht mehr“, sagt Bell.

Thomas Geupel spricht sogar von „Vertragsbruch“. Er ist für das direkt neben dem Rheinwerk gelegene „in aller Bescheidenheit größte Walzwerk der Welt“ verantwortlich. In gutem Glauben, sagt er, sei hier investiert worden. Auch das Walzwerk hat einen hohen Energiebedarf. 72 Millionen Kilowattstunden Gas und 600 Millionen Kilowattstunden Strom verbraucht es im Jahr, um die Alublöcke anzuwärmen und dann unter ohrenbetäubendem Lärm zu pressen. Am Ende wird aus dem Material eine dünne Alufolie geworden sein, die mehr als einen Kilometer lang ist.

Auf der anderen Seite argumentiert die erneuerbare Energienbranche nicht anders. Die Idee, Anlagenbetreibern nachträglich, und sei es auch nur einmalig ,die Einspeisevergütung zu kürzen, findet der Vize- Chef des Windenergieverbands abenteuerlich. „Der Bundesumweltminister gefährdet eine ganze Branche aufgrund nicht nachvollziehbarer und intransparenter Berechnungen“, sagt Andreas Jesse.

Bei den Umweltverbänden kann Altmaier auch nicht mehr auf Nachsicht hoffen. Am Dienstag rief Greenpeace zu einem „Twitter-Protest“ auf. Unter dem Motto „Energiewende retten – Altmaier bremsen“ brachten es die Umweltschützer tagsüber zu einem der meistbeachteten Themen im deutschen Teil des Kurznachrichtendienstes. Altmaier twitterte am Abend: „Danke für die vielen Tweets. Leider sind es so viele, dass ich sie nicht lesen kann, da ich gerade in der Endphase der EEG-Verhandlung bin.“

Altmaier selbst ist in diesem medialen Sturm, den er angefacht hat, ziemlich dünnhäutig geworden. Vermutlich hat er wirklich mal daran geglaubt, dass es genügen würde, als Umweltminister mit allen zu reden, um die Energiewende zu schaffen. Aber eben nicht mehr so kurz vor der nächsten Wahl. Wochenlang hat er zuletzt mit den Umweltministern aus den Ländern über mögliche Kompromisse verhandelt. Ohne Ergebnis. Dabei gab es mal eine Lösung, wie die Energiewende bezahlt werden sollte. Ursprünglich nämlich aus dem Energie- und Klimafonds, doch der ist leer. Auffüllen müssten ihn Gewinne aus dem Emissionshandel. Derzeit gibt es keine Gewinne. Um an der Börse in Brüssel stabile Preise zu erzeugen, müssten Zertifikate vom Markt genommen werden. Dagegen wehrt sich aber Kabinettskollege Philipp Rösler seit Monaten.

So könnte Peter Altmaier zum Opfer der von ihm selbst monatelang befeuerten Strompreisdiskussion werden. Er weiß das und marschiert tapfer weiter von Termin zu Termin. Und wie sagte er vor den Schülern in Moabit so treffend: „Wir Politiker sind nur wenige Leute. Irgendwann werde ich nicht mehr Umweltminister sein.“

Erschienen auf der Reportage-Seite.

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