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Studie: Auf Distanz zur Demokratie

Das Vertrauen der Bürger in die Demokratie schwindet dramatisch. Die Hälfte der ostdeutschen Bundesbürger glaubt nicht, dass das politische System Deutschlands Probleme lösen kann. Jeder zweite Befragte denkt gar an Wahlenthaltung bei der nächsten Bundestagswahl.

Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Demokratie. Jeder dritte Bundesbürger glaubt nicht, dass die Demokratie Probleme löse, in Ostdeutschland sind es sogar 53 Prozent. Vier von zehn Deutschen zweifeln daran, dass die Demokratie überhaupt noch funktioniere. Jeder zweite kann sich vorstellen, bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht zur Abstimmung zu gehen. Das sind die Ergebnisse einer Studie des Münchener Instituts Polis/Sinus, die dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegt und zum Wochenbeginn offiziell vorgestellt werden soll.

Die Initiatoren der Studie, für die im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) 2500 Bundesbürger befragt wurden, wollten eigentlich Gründe für die zunehmende Wahlenthaltung suchen. „Publikumsbeschimpfungen helfen da nicht weiter, deshalb wollten wir es genauer wissen“, sagt Frank Karl von der FES zum Arbeitsauftrag für die Forscher. Das Ergebnis allerdings – eine große grundsätzliche Distanz der Bürger zur Politik – hat sowohl die Demoskopen wie die FES erschreckt. „Ich fürchte, rund ein Drittel der Menschen hat sich schon von der Demokratie verabschiedet“, sagte Karl dem Tagesspiegel am Sonntag.

Die Forscher hat bei ihren Interviews mit den repräsentativ ausgewählten Bürgern vor allem überrascht, dass sich nicht nur wirtschaftlich schlechter Gestellte demokratiekritisch äußern, sondern der Glaube an das politische System offenbar insgesamt dramatisch zurückgegangen ist. Wer sich selbst als abgehängt oder arm betrachtet, gehöre zwar zu den ersten, die auf Distanz zur Demokratie gingen. Darunter befänden sich mithin besonders viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger, sagt Karl und schlussfolgert: „Aus persönlichem Misserfolg wird Staatsferne.“

Der Kreis der Skeptiker reicht aber der Studie zufolge weit über diese Gruppe hinaus. „Das deutet darauf hin, dass viele Menschen fürchten, demnächst abzurutschen, und sie machen das System dafür verantwortlich“, sagt Karl. Die Befragung habe ergeben, dass sich nur noch 62 Prozent der Bürger gerecht behandelt fühlen, während jeder Vierte (26 Prozent) sich ausdrücklich beklagt und angibt „ungerecht“ behandelt zu werden.

Auf der Strecke bleibt dabei offenbar auch der Glauben an eine bessere Zukunft: Nur jeder Dritte (31 Prozent) geht noch optimistisch in die kommenden Jahre – der große Rest befürchtet Einschränkungen oder sieht die Gefahr, gesellschaftlich oder finanziell abzurutschen.

Für den FES-Experten Karl ist klar: Die gegenwärtige Politik überzeuge offenbar gerade die Verlierer der Gesellschaft nicht, und weil deren Zahl zunehme, wachse die Gefahr für die Demokratie insgesamt. Die Volksparteien leiden, wie Karl mutmaßt, besonders stark unter dem Vertrauensverlust. Denn: „Die müssen Loyalität zum System organisieren und erreichen mindestens ein Drittel der Bevölkerung nicht mehr.“ Jürgen Zurheide

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