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Ort des Verbrechens. Von Mitte der 60er Jahre bis in die frühen 90er Jahre wurden hier Schüler missbraucht. Foto: Marius Becker/dpa

© dpa

Studie: Missbrauch vor allem in Heimen

Eine deutschlandweite Studie geht den Vorwürfen wegen sexuellen Missbrauchs in deutschen Kinder- und Jugendeinrichtungen nach. Verdachtsfälle gibt es demnach auch an jeder zweiten Schule. Die Kirche will die Fälle der letzten 60 Jahre untersuchen lassen.

Berlin - Als vor eineinhalb Jahren Fälle von sexuellem Missbrauch an deutschen Schulen bekannt wurden, ging ein Aufschrei durchs Land. Am Mittwoch präsentierte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, die Ergebnisse einer deutschlandweiten Studie. Diese war in Auftrag gegeben worden, um mehr Informationen über das jahrzehntelang tabuisierte Thema zu erhalten. Für Bergmann ist das Ergebnis eindeutig: „Missbrauch ist nicht ein Thema der Vergangenheit, sondern der Gegenwart.“ Zudem kritisierte sie fehlende Kompetenzen bei Pädagogen im Umgang mit sexuellem Missbrauch. „Die Lehrer müssen wissen, wie sie mit Kindern umgehen, die ihnen von Missbrauch berichten.“

Die Ergebnisse zeigen, dass es in Heimen deutlich öfter zu sexueller Gewalt kommt als an Schulen oder in Internaten. Etwa die Hälte aller Schulen, 67 Prozent der Internate und rund 82 Prozent der Heime seien überhaupt schon einmal mit Verdachtsfällen konfrontiert gewesen. Dazu zählen Übergriffe, die von Mitarbeitern und Lehrern sowie von Mitschülern beziehungsweise anderen Heimkindern ausgingen. Ebenfalls wurden in der Statistik Fälle berücksichtigt, die sich zwar außerhalb der Institutionen abspielten, dann aber an Lehrer oder andere Mitarbeiter gemeldet wurden.

Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI), erläuterte, dass es bei 20 Prozent der Fälle an Schulen zu dienstrechtlichen Konsequenzen gekommen sei, in Internaten und Heimen bei rund einem Drittel. Mindestens in diesen Fällen konnte der Verdacht also bestätigt werden. Der Forscher geht aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. „Sexueller Missbrauch in all seinen Facetten ist virulent in allen pädagogischen Einrichtungen“, sagte der Experte.

Für die Untersuchung wurden Schulleitungen, Lehrkräfte und Mitarbeiter von Internaten und Heimen in allen Bundesländern bis auf Bayern befragt. Die Kooperation sei erstaunlich gut gewesen. Schüler konnten aus Zeitgründen nicht interviewt werden.

Am Mittwoch präsentierte zudem die katholische Kirche ihre Pläne, um sexuellen Missbrauch aufarbeiten zu lassen. In zwei wissenschaftlichen und von der Bischofskonferenz finanzierten Forschungsprojekten soll das „dunkle Kapitel“ von unabhängigen Experten beleuchtet werden, sagte der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann in Bonn. Die Kirche wolle „der Wahrheit auf die Spur kommen“. Grundlage dafür sind Personalakten ab 1945 sowie Befragungen von Opfern und Tätern. Mit den Studien soll zudem ermittelt werden, unter welchen Umständen es zu sexuellen Übergriffen gekommen und wie die Kirche damit umgegangen ist. Aus den Ergebnissen wolle man „noch mehr lernen für die Prävention“, sagte Ackermann. Erste Ergebnisse sollen bereits in gut einem Jahr vorgestellt werden.

Die Aufarbeitung findet parallel zu den Entschädigungszahlungen für die Opfer statt. Die Zahl solcher Opfermeldungen sei inzwischen „deutlich zurückgegangen“, so Ackermann. Konkrete Zahlen nannte er nicht. Jedem Opfer will die katholische Kirche bis zu 5000 Euro Entschädigung zahlen, in Einzelfällen auch mehr. mit dpa

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