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Politik: Stunde der letzten Zeugen

Bei der Gedenkfeier im Konzentrationslager sollen frühere Häftlinge im Mittelpunkt stehen

Seit Tagen warnen Polens Medien die Bewohner der Region um Krakau vor dem drohenden Verkehrskollaps am morgigen Donnerstag. Aus 44 Staaten werden die Staats- und Regierungschefs mit stattlichem Gefolge in die südpolnische Kleinstadt Oswiecim reisen, um an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz teilzunehmen. Zu der Gedenkveranstaltung an der Rampe des Außenlagers Birkenau werden knapp 2000 frühere Häftlinge sowie mehrere tausend weitere Gäste erwartet.

Es sei vermutlich „die letzte Chance“, ein rundes Befreiungsjubiläum noch einmal mit überlebenden Zeitzeugen zu feiern, erklärt der frühere Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski das große Interesse: Denn bereits jetzt seien die früheren Häftlinge, die noch kommen könnten, zwischen 75 und 90 Jahre alt.

3500 Polizisten sollen für Sicherheit sorgen, hinzu kommen die mitgereisten Sicherheitskräfte der Staatsgäste. Polens Armee übernimmt den Sanitätsdienst, hunderte jugendlicher Freiwilliger werden die Gäste mit warmen Tee und mehrsprachigen Manuskripten der gehaltenen Reden versorgen. Die meisten Gäste werden aus Krakau anreisen. Daher wird die rund 60 Kilometer lange Straße nach Oswiecim für die Ab- und Anfahrt der Besucher fast den ganzen Tag für den regulären Verkehr gesperrt. Von den rund 1700 akkreditierten Journalisten wird wohl nur jeder zehnte einen Platz im viel zu kleinen Pressezelt finden.

Es sind nicht nur die logistischen Probleme, die den Gastgebern im Vorfeld der Veranstaltung zu schaffen machten. Jüdische Organisationen hatten Polens damaligen Präsidenten Lech Walesa beim 50. Jahrestag der Befreiung vorgeworfen, vor allem das Leiden der eigenen Landsleute in den Mittelpunkt rücken zu wollen. So wurde dieses Jahr im Vorfeld detailliert über protokollarische Fragen verhandelt. Um deutlich zu machen, dass es um das Gedenken und „nicht um ein politisches Schauspiel“ gehe, kämen zuerst die Sprecher der Häftlinge zu Wort – und erst danach die Politiker, sagt Bartoszewski. Er wird als Vertreter der polnischen Häftlinge, die Französin Simone Veil für die jüdischen Opfer und Romani Rose im Namen der ermordeten Sinti und Roma sprechen.

Mit Rücksicht auf das Alter der Gäste und die Kälte habe die Dauer der Veranstaltung stark begrenzt werden müssen, sagt Bartoszewski. Das ist auch seine Erklärung für die „heikle Frage“, warum zwar die Staatschefs Polens, Russlands und Israels, nicht aber Bundespräsident Horst Köhler das Wort ergreifen werden: „Niemand hat in Polen etwas gegen Horst Köhler“, sagt Bartoszewski. „Doch wir mussten die Anzahl der Redner einschränken – und darum eine scharfe Entscheidung treffen.“

Thomas Roser[Warschau]

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