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Politik: Stunde der Patrioten

Von Stephan-Andreas Casdorff

Amerika, dieses wundervolle Land, Open Range, mit Menschen, die so weit denken können, wie manche niemals vorausschauen werden, Menschen, die ein Vorbild sein können für alle und alles, für Schriftsteller und Umweltschützer und Diplomaten, Menschen, die aus aller Herren und Frauen Länder kamen, heute zum Beispiel Madeleine Albright heißen und Außenminister waren – sie alle leiden. Jeden Tag mehr. Man kann es hören und lesen. Millionen sind es in den USA. Und Millionen hier in Europa leiden mit ihnen an einer Politik, die einer verantwortet, der allen kam mit Werten und Moral und Patriotismus. So viele haben ihm geglaubt! Aber jetzt, jetzt singt einer wie der konservative Neil Young: Let’s Impeach The President For Lying. Sprich: weg mit dem Lügner.

Nicht nur die Innenpolitik, wo die vergangenen Clinton-Jahre mit ihrem Aufschwung und ihren Jobs und dem Haushaltsüberschuss wie ein Märchen aus goldenen Zeiten anmuten – auch die Außenpolitik dieser amtierenden Regierung ist ein Desaster. Ja, ein Desaster! Der Ausruf muss sein, weil die Dimension des Geschehens so ungeheuer ist. Was stimmte an all den amtlichen Behauptungen zum Irak? Gescheitert ist die Mission, die dieser Mann an der Spitze empfand, der für einen guten Kriegsausgang auf die Knie ging und in seinem Büro betete. Das ist das Ergebnis: kein Frieden, keine Ruhe, keine Demokratie, dafür Aufstände, Tote – und nun auch noch Massaker wie damals in den düstersten Tagen, wie in Vietnam, wie in My Lai, Soldaten, die ausrasten, Frauen und Kinder und alte Männer töten, weil sie selber ständig um ihr Leben fürchten, ihre Kameraden sterben sehen, blind werden vor Wut. Einzelfälle, werden die sagen, die alles verteidigen. Einzelfälle, die den Blick trüben auf das große Ganze und darauf, dass doch der Diktator Saddam weg sei. So werden sie sagen – und das ist die Antwort: Der befreite Irak schickt einen Botschafter nach Washington, der sagt, dass das keine Einzelfälle sind, einen, der selber daran leidet, weil er seinen Cousin so verloren hat.

Überhaupt ist der Irak, auf die gesamte Außenpolitik gesehen, kein Einzelfall. Die Stichworte lesen sich wie Peitschenschläge, und jeder einzelne Fall ist bedeutsamer als die so genannte Whitewater-Affäre, als die „I didn’t inhale“- und die Lewinsky-Geschichte, derenthalben die Rechte in den USA einen Verfall aller Sitten geißelte und Clinton seines Amtes entheben wollte. Let’s Impeach The President For Lying – weltweit herrschte oder herrscht noch Unmut über: die Abhöraffäre mit der NSA; geheime CIA-Gefängnisse; die Weitergabe von geheimen Erkenntnissen mit Wissen des Präsidenten zum Schaden anderer; das rechtswidrige Gefangenenlager Guantanamo.

Eine Grand Strategy der westlichen Führungsmacht gibt es auch nicht. Was für eine Idee war der (Aus-)Verkauf von Häfen an arabische Investoren? Oder die Überlegung, Indien mit Atomkraft auszustatten? Gegen China und Pakistan, die beide Kampfgefährten gegen den Terror sein sollen? Auch zum Russland Wladimir Putins fehlt eine klare Linie: gestern Gegner, heute Partner, morgen … Es gab einen Präsidenten mit dem Namen Bush, der wusste, wie Koalitionen zu schaffen sind, ganz große Koalitionen. Stattdessen kommt jetzt eine gegen die USA zustande, die es niemals hätte geben dürfen: die „Schanghai-Gruppe“ mit China, Russland, Usbekistan, Tadschikistan und Kasachstan. Sie fordert, dass die USA ihre Truppen für Afghanistan aus Zentralasien abziehen sollen. Und nun sollen vier neue Mitglieder dazukommen, Indien, Pakistan, die Mongolei – und der Iran. Am 15. Juni wird der iranische Präsident zum nächsten Treffen in Schanghai erwartet. Das alles hat dieser Präsident verhindern wollen: dass es gleich wo auf der Welt eine Ansammlung von Staaten gegen den Einfluss der Vereinigten Staaten gibt.

„Unter uns gibt es einen starken und ehrlichen Menschen, der uns aus der Trostlosigkeit führen kann … Ich hoffe, dass er seiner Berufung folgt. Vielleicht ist es diesmal eine Frau oder ein schwarzer Mann“, singt Neil Young in Lookin’ For A Leader. Amerika, dem wundervollen, nur das Beste.

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