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Stuttgart 21: Böses Blut in Baden-Württemberg

Nach der Eskalation im Streit um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" überziehen sich die möglichen Koalitionspartner CDU und Grüne mit harscher Kritik. Derzeit sind noch etwa 1000 friedliche Demonstranten im Schlosspark.

Angesichts des harten Polizeieinsatzes gegen die Gegner von "Stuttgart 21" verhärten sich die Fronten zwischen CDU und Grünen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) warf den Grünen am Samstag vor, einen unangemessenen außerparlamentarischen Widerstand zu organisieren. Für eine schwarz-grüne Koalition im Land sieht er kaum noch Chancen.

Mappus verteidigte in der “Welt am Sonntag“ das Projekt. Er wolle sich nicht in 20 oder 30 Jahren fragen lassen müssen, warum diese einmalige Chance nicht ergriffen worden sei. Mit den Aktionen solle der Eindruck erweckt werden, dass bei dem Projekt wie in der Nazi-Zeit in einer Diktatur entschieden werde, beklagte der CDU-Politiker. Dies sei inakzeptabel. Vor allem die Grünen trügen zu diesem Eindruck bei. Innenminister Rech warf den Demonstranten vor, Kinder und Jugendliche am Donnerstag für ihre politischen Zielsetzungen instrumentalisiert zu haben. Zudem kritisierte er im Deutschlandfunk, die Gegner stellten immer neue Vorbedingungen. Dies sei keine Basis für ein offenes Gespräch.

Grünen-Chef Cem Özdemir erneuerte seine Kritik an Mappus und sagte: "Wer auf ältere Damen und Kinder einprügeln lässt, hat jedes Recht auf den Anspruch eines christlichen Landesvaters verwirkt." Die Auseinandersetzung um "Stuttgart 21" war am Donnerstag eskaliert. Bei einer Demonstration war die Polizei mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Protestierenden vorgegangen. Mehr als hundert Menschen wurden verletzt. Eine neuerliche Versammlung der "Stuttgart 21"-Gegner am Freitag mit mehreren zehntausend Teilnehmern bleib friedlich. Am Samstag war die Lage in Stuttgart zunächst ruhig. Gegner des Projekts diskutierten mit Befürwortern. Am Samstagabend waren noch etwa 1000 Demonstranten im Schlosspark. Sie hatten unterer anderem Kerzen um die Bäume gestellt.

Mappus bedauerte, dass es Verletzte gegeben hatte. Es dürfe keine weitere Eskalation geben, mahnte er. An dem umstrittenen Bauvorhaben hält er jedoch fest. Er könne nicht nachvollziehen, wie man generell gegen solch ein Zukunftsprojekt sein könne. Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) stellte sich erneut hinter das Projekt. Den Grünen machte Mappus schwere Vorwürfe. Es sei kein Zufall, dass die Sache ein halbes Jahr vor der Landtagswahl hochgepuscht werde. Die Baden-Württemberger wählen im kommenden März einen neuen Landtag. Einer schwarz-grünen Koalition im Land gibt Mappus kaum noch Chancen. "Viele Abgeordnete haben eine Riesenwut auf die Grünen, selbst diejenigen, die es bis vor Kurzem für möglich gehalten hätten, mit ihnen zu koalieren", sagte er.

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) verteidigte das Vorgehen der Polizei erneut. Er habe "keine Zweifel", dass die Polizei "rechtmäßig gehandelt" habe. Verwirrung stiftete er zunächst mit der Aussage, er scheue persönlich keinerlei Konsequenzen, sollte sich erweisen, dass die Polizei unverhältnismäßig agiert habe. Das Innenministerium stellte dann kurze Zeit später in einer Mitteilung klar, dass Rech einen Rücktritt ausschließe.

Özdemir sagte Mappus und Rech ein Scheitern bei der Landtagswahl voraus. Im März müssten beide gehen. Zugleich nahm Özdemir die Äußerung zurück, Mappus habe bei den Demonstrationen "Blut sehen" wollen. Der Grünen-Chef entschuldigte sich für den Vorwurf und bezeichnete die Attacke als unangebracht. Er sei nach dem Polizeieinsatz am Donnerstag "zunehmend fassungslos und aufgebracht" gewesen, sagte er, "ich hätte so etwa in Deutschland im Jahr 2010 nicht mehr für möglich gehalten".

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagfraktion, Volker Beck, sagte, Mappus leide an Realitätsverlust. Es sei abenteuerlich, den Wahltermin für die Protestbewegung verantwortlich zu machen. Ganz offensichtlich seien es Abriss- und Baumfällarbeiten, die die Leute auf die Straße und in den Stuttgarter Schlosspark brächten. Zudem habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Landtagswahl im März kommenden Jahres zur Abstimmung über "Stuttgart 21" erklärt.

Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes warf der Landesregierung vor, sie habe es bei der Demonstration bewusst auf eine Eskalation angelegt. "Man hat das Gefühl, die Politik wollte diesen Konflikt", sagte er. Die Polizei müsse in diesem Fall "wieder einmal für politische Fehler ihren Kopf hinhalten".

Einem "Spiegel"-Bericht zufolge gehen die folgenschweren Zusammenstöße am Donnerstag auch auf eine Änderung bei der Einsatzplanung der Polizei zurück. Weil am Tag zuvor im Internet bereits davor gewarnt worden sei, dass die Beamten die Baustelle ab 15.00 Uhr absichern würden, seien die Polizisten schon um 10.00 Uhr vorgerückt, sagte Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf dem Nachrichtenmagazin. Dabei wurde dem Bericht zufolge nicht berücksichtigt, dass sich eine angemeldete Schülerdemonstration in die Nähe des Schlossgartens bewegte. Als die Schüler den Polizeieinsatz bemerkten, seien viele der jungen Protestler zu den Bäumen geströmt. Um die gesamte Bauaktion zu stoppen, war es laut Stumpf zu spät.

Das Stuttgarter Innenministerium betonte, Minister Rech habe am Donnerstag keinen Auftrag an den Polizeiführer des Einsatzes im Schlosspark gegeben. Dieser habe vielmehr selbst entschieden. Auch habe das Polizeipräsidium Stuttgart bei seiner Einsatzplanung die angemeldete Schülerdemonstration berücksichtigt.

Dem baden-württembergischen Verfassungsschutz zufolge mischten sich auch Linksextreme unter die Demonstranten in Stuttgart. Der Einfluss sei zwar noch gering, sagte Landesverfassungsschutzpräsidentin Beate Stube. Experten befürchten aber eine Unterwanderung der Proteste durch Radikale und Gewaltbereite.

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