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Politik: Suche nach dem verlorenen Sinn - Pragmatismus ist in, Theorie out (Kommentar)

Sie treffen sich oft, auf EU-Konferenzen, im Rahmen von G 8 oder Nato, aber Zeit haben sie nie. Der Tony, der Bill, der Gerhard, der Lionel.

Sie treffen sich oft, auf EU-Konferenzen, im Rahmen von G 8 oder Nato, aber Zeit haben sie nie. Der Tony, der Bill, der Gerhard, der Lionel. Die Staats- und Regierungchefs, die in Berlin über das moderne Regieren im 21. Jahrhundert nachdenken wollen, gehören zur weit verzweigten Familie der Mitte-Links-Parteien.

Es gibt noch mehr Dinge, die sie verbinden, die Zugehörigkeit zu einer politischen Generation und die Tatsache, dass sie im Kalten Krieg und folglich in der scharfen Auseinandersetzung der großen Ideologien aufgewachsen sind. Sie sind deshalb entschiedene Pragmatiker geworden, die lieber den nächsten politischen Schritt gehen, als in endlosen Debatten über richtig und falsch zu versinken.

Diese Regierungschefs haben sich unverkennbar auf die Suche nach Theorie und Sinn begeben. Denn sie haben Grenzen ihres Handelns kennen gelernt und das Bedürfnis ihrer Wähler, im jeweils nächsten Schritt auch ein kleines Bild von der Zukunft zu erkennen.

Die Konferenz in Berlin hat deshalb ihren eigenen Charme. Der gewohnte Schliff der internationalen Meetings wird ihr sicherlich fehlen. Sie wurde mit heißen Nadeln genäht. Denn das Unternehmen ist Gastgeber Gerhard Schröder regelrecht über den Kopf gewachsen. Sechs Regierungschefs haben auf der Vorläufer-Konferenz in Florenz diskutiert. Sie haben in prächtiger Kulisse öffentliche Statements abgegeben, nicht mehr, und waren am Ende nicht sehr zufrieden.

Nach Berlin drängt es nun 13 oder 14 Regierungschefs und 15 Expertenstäbe. Es kommen auch die Leute von Tony Blair, der mit dem "Dritten Weg" als einziger aus diesem Kreis so etwas wie ein theoretisches Fundament für seine Politik entwickelt hat. Oder hatte, denn auch Tony Blair ist vorsichtig geworden. Jetzt geht er seinen privaten Weg und bleibt - bei allem Wohlwollen für die Bemühungen seiner Amtskollegen - wegen Sohn Leo zu Hause. Vielleicht nicht die unwichtigste Botschaft zu der Frage, wie modernes Regieren aussehen könnte.

Der Reiz des Berliner Treffens liegt nicht darin, dass diese Konferenz einen neuen Entwurf, ein gemeinsames Programm für die Kanzler, Premiers und Ministerpräsidenten der Mitte-Links-Parteien liefern wird. Der Reiz liegt vielmehr darin, dass hier nichts definiert, nichts festgelegt, nicht glattgeschliffen ist. Die Konferenz ist ein Treffen jenseits aller bestehenden internationalen Institutionen und schon deshalb einmalig. Der Andrang zum Berliner Treffen dokumentiert ein Bedürfnis, das offenbar weder die sozialistische Internationale noch die zahllosen anderen internationalen Regelwerke befriedigen.

Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer gelten allenfalls noch zwei Fixpunkte: Erstens gibt es kein Feindbild mehr, aus dem sich Politik begründen und legitimieren lässt. Und zweitens wirft die Globalisierung die Frage auf, was Regierungen und Politiker denn überhaupt bewirken können. Der "Dritte Weg" ist da zu eng. Denn er leitet sich im Grunde aus alten Fronten ab, der zwischen Neoliberalismus und Staatsdirigismus und im Grunde aus der noch älteren zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Mit dem "Dritten Weg", der im Schröder-Blair-Papier eine wichtige und in Florenz noch eine gewisse Rolle gespielt hat, wird man in Berlin sehr zurückhaltend umgehen.

Wie soll man im 21. Jahrhundert regieren? Progressiv, modern, reformerisch, sogar "good" lauten die Begriffe im Vorfeld der Konferenz. Leicht auszurechnen, dass die Antworten nicht sehr viel präziser ausfallen werden.

Aber ermutigend ist es doch, wenn die Regierungschefs sich die Frage stellen, ob und wie es ein Fundament und eine Richtung für die Politik geben kann, der die globalisierte Weltwirtschaft so viel Gestaltungskraft aus der Hand geschlagen hat.

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