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Suchterkrankung: Vor allem Jungs sind von Computersucht bedroht

Bislang zahlen weder Krankenkassen noch Rentenversicherer für eine Behandlung.

Das Krankheitsbild ist wissenschaftlich vielfach beschrieben, die Zahl der Erkrankten wächst ständig und auch die gesellschaftlichen Folgewirkungen sind aus Expertensicht beunruhigend. Doch Therapien, so konstatiert Christian Pfeiffer, erhielten Betroffene in deutschen Landen vielfach „nur auf der Basis des Versicherungsbetrugs“.

Weil Computerspielsucht nicht als Suchterkrankung anerkannt ist, zahlten weder Krankenkassen noch Rentenversicherer für eine Behandlung, ärgert sich der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Um Abhängige in einer der wenigen auf ihr Problem spezialisierten Kliniken unterbringen zu können, müssten ihnen Ärzte notgedrungen andere Leiden diagnostizieren. Depression, beispielsweise.

Das Problem sei nicht erfunden, sondern existent, versicherte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung , Sabine Bätzing (SPD), bei einer Tagung zum Thema Computersucht in Berlin. Der Publikumsandrang sei Beleg dafür, wie stark es Eltern und Lehrern „unter den Nägeln brennt“. Weltweit steige die Zahl abhängiger Computerspieler, und besonders erschreckend sei hierzulande der hohe Anteil männlicher Jugendlicher.

Aktuelle Zahlen lieferte der Kriminologe Pfeiffer aus einer Befragung von 15 000 Neuntklässlern. Demnach verbringen 16 Prozent der 15-jährigen Jungen täglich mehr als 4,5 Stunden in virtuellen Welten. Drei Prozent aus dieser Altersgruppe seien süchtig und 4,7 Prozent suchtgefährdet. „Das sind 33 000 Schüler eines einzigen Jahrgangs.“ Wobei der Experte betonte, dass allein die Zahl der Stunden vorm Monitor für die Zuordnung nicht ausschlaggebend gewesen sei. Als süchtig gewertet habe man nur Exzessivspieler, die von Entzugserscheinungen und einer „massiven Einengung ihres Denkens und Verhaltens“ berichteten.

Auffällig ist, dass Mädchen dieser Altersgruppe weit weniger von Suchtproblemen betroffen sind. Die Zahl der Abhängigen liegt hier bei 0,3 Prozent, die der Gefährdeten bei 0,5 Prozent. Laut Pfeiffer liegt der Grund dafür in der eher auf männliche Interessen zugeschnittenen Struktur der Spiele. Abenteuer und Action lockten vor allem Jungs aus ihrer „Nachmittagsödnis“. Junge Frauen dagegen seien, wie ausländische Studien belegten, weit anfälliger für Chatforen im Internet.

Besonders hohes Suchtpotenzial bescheinigten die Experten dem Computerspiel „World of Warcraft“. Laut Pfeiffer ist jeder Fünfte, der sich in diese Welt begibt, davon abhängig oder abhängigkeitsgefährdet. Es sei „nicht nachvollziehbar“, sagte die Drogenbeauftragte, dass ein Spiel mit derartigem Suchtpotenzial ab zwölf Jahren freigegeben sei. Und genauso wenig, dass es für den Onlineverkauf keinerlei Altersbeschränkung gebe.

Für Pfeiffer ist die Computerspielsucht junger Männer die „Haupterklärung für deren Leistungsdefizite“. Im Vergleich zu Mädchen seien Jungs „dominant im Schulabbrechen und Sitzenbleiben“. Auch beim Abitur gerieten sie geschlechtsspezifisch immer stärker ins Hintertreffen. „Feministinnen mögen sich darüber freuen“, sagte Pfeiffer. Der Staat aber könne kein Interesse an dieser Entwicklung haben. Bätzing bestätigte, dass computersüchtige Jungs deutlich schlechtere Noten in Deutsch, Sport, Geschichte und Mathematik aufwiesen. Sie schwänzten zudem im Schnitt pro Halbjahr 19 Stunden die Schule, Nichtabhängige kämen nur auf zehn Stunden. Die Politikerin drängte auf bessere Diagnoseinstrumente, um Computersucht als Krankheit einstufen zu können. Zudem brauche es deutlich mehr Aufklärung. Das Geld dafür würde Pfeiffer am liebsten von denen einfordern, die „an der Sucht verdienen“. „Zehn Cent pro verkauftes Spiel – damit könnten wir richtig gegensteuern.“

Offensiv wandte sich der Kriminologe auch gegen den Lobbyismus der Computerspielbranche. Viele medienpädagogisch agierende Einrichtungen seien „industriell gesteuert“, behauptete er. Eine drastische Interessenkollision gebe es sogar an der Spitze der Unabhängigen Selbstkontrolle. „Es ist absurd, dass man diejenigen zum Hüter des Jugendschutzes macht, die mit der Verletzung dieses Jugendschutzes ihr Geld verdienen.“

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