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Verblasste Erinnerung an einen Großen der Weltgeschichte.

© Reuters

Südafrika – ein Jahr nach dem Tod von Nelson Mandela: Tiefe Ernüchterung

Skandale, Machtmissbrauch, Proteste: Nelson Mandelas Nachfolger haben das Erbe verspielt. Keinem gelingt es, die schamlose Selbstbereicherung im ANC zu zügeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler

Wenn George Bizos von seiner Freundschaft zu Nelson Mandela erzählt, wird der kleine Mann mit dem grauen Schnurrbart schnell nostalgisch. Der 86-Jährige erzählt noch immer gerne, wie er den weltweit bewunderten Freiheitskämpfer 1948 beim Jurastudium in Johannesburg kennenlernte und ihn 15 Jahre später im Hochverratsprozess verteidigte. Und wie er Mandela, als einer von ganz wenigen, in dessen langen Haftjahren auf der Sträflingsinsel Robben Island regelmäßig besuchen durfte.

So eng war ihre Freundschaft, dass Mandela ihn damals bat, für seine Familie zu sorgen, falls er in der Haft sterben sollte. Gestorben ist Mandela jedoch nicht in Gefangenschaft, sondern fast ein Vierteljahrhundert nach seiner Freilassung – vor genau einem Jahr – im Alter von 95 Jahren.

Im Afrikanischen Nationalkongress (ANC), Mandelas politischer Heimat, sollen die endlosen Grabenkämpfe zumindest am ersten Todestag Mandelas begraben werden. Zumal dieser Tag der früheren Widerstandsbewegung eine Gelegenheit gibt, ihre nach 20 Jahren ANC-Herrschaft reichlich desillusionierte Anhängerschaft noch einmal hinter dem großen Namen einzuschwören. Auch wenn dem ANC bei den fünften Wahlen seit dem Ende der Apartheid gerade erst ein weiterer hoher Sieg gelang, hat der von immer neuen Korruptionsvorwürfen geplagte Staatschef Jacob Zuma stark an Unterstützung verloren. Kein Wunder, dass er heute mit einer ganzen Entourage von Ministern lieber in China weilt und seinen Stellvertreter Cyril Ramaphosa die Ausrichtung der Feierlichkeiten überlässt.

Fast jeden Tag gibt es oft gewalttätige Proteste gegen die neuen schwarzen Machthaber

Weit schneller als erwartet, ist die vor 25 Jahren von Mandelas Freilassung entfachte Euphorie verpufft und tiefer Ernüchterung gewichen. Fast jeden Tag gibt es heute in ganz Südafrika oft gewalttätige Proteste gegen die neuen schwarzen Machthaber. Mandela selbst hatte seit 2004 aus dem damals selbst verordneten Ruhestand mitansehen müssen, wie seine Nachfolger sein Erbe verspielten. Weder Thabo Mbeki und noch weit weniger Jacob Zuma ist es gelungen, die schamlose Selbstbereicherung im ANC zu zügeln.

Vor allem für den von immer neuen Skandalen geplagten Zuma wird die Luft inzwischen spürbar dünner. Wegen der illegalen Verwendung von rund 18 Millionen Euro an Steuergeldern für seine private Residenz in dem Zuludorf Nkandla hat die Polizei nun angeblich auch offiziell Ermittlungen gegen den Staatschef aufgenommen. Zum Verhängnis könnte Zuma ein Untersuchungsbericht der mutigen Demokratiewächterin Thuli Madonsela werden. Darin wird belegt, dass der polygame Zuma und seine weitläufige Familie – darunter vier Ehefrauen und 21 offiziell anerkannte Kinder – beim Ausbau seines Privatanwesens auf „unethische“ Weise von Steuergeldern profitiert haben.

„Nkandla-Gate“ ist unter den vielen Skandalen, die den ANC plagen, zum Symbol für den Machtmissbrauch der neuen schwarzen Elite geworden. Selbst langjährige ANC-Veteranen wie Ex-Präsident Thabo Mbeki sind über das Ausmaß der Korruption entsetzt: Die nun bekannt gewordenen Summen verstärkten bei ihm die Sorge um die Zukunft des Landes, sagte Mbeki, der vor sechs Jahren vom ANC in einer Palastrevolte gestürzt wurde.

Ein eher schäbiges Museum auf der Anhöhe über Qunu erinnert an den berühmten Sohn des Ortes

Während Zuma sich, wie viele andere afrikanische Staatschefs, in seinem Heimatort ein Denkmal setzt, deutet in Mandelas Alterssitz Qunu wenig darauf hin, dass dieser hier lange lebte und beigesetzt ist. Der Friedhof selbst ist wenig mehr als eine Wiese, aus der ein paar Grabsteine ragen. Bereits 20 Jahre vor seinem Tod hatte Mandela testamentarisch verfügt, hier beigesetzt zu werden – bei seinen Kindern und Eltern.

Allein ein eher schäbiges Museum auf der Anhöhe über Qunu erinnert an den berühmten Sohn des Ortes. Nachdem der Komplex in den letzten zehn Jahren kaum gepflegt wurde, soll er nun für eine Million Euro renoviert werden. Besuchern wird bislang wenig geboten. Wie so viele andere Plätze in der verwahrlosten Transkei, wie der Landstrich heißt, ist auch Mandelas Heimat eine Stätte der verpassten Gelegenheiten. Besonders deutlich zeigt sich der Verfall am Zustand der Straßen und des maroden Strom- und Wassersystems. Auch gibt es noch immer eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, allerdings weit weniger als früher entlang der Hautfarbe.

Die Zurschaustellung des eigenen Reichtums in Form von Luxuslimousinen und Designerzwirn durch die neue (schwarze) Elite wirkt vor dem Hintergrund der bitteren Armut in der Region geradezu grotesk. Immerhin wurde in Vorbereitung auf Mandelas Tod die Nationalstraße 2, die direkt an seiner Grabstätte vorbeiführt, mit ein paar futuristisch anmutenden Ausfahrten modernisiert. Doch weder die Bewohner von Qunu noch der Transkei haben bislang vom weltweiten Ruhm Nelson Mandelas profitiert.

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