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Südchina: Protestwelle eskaliert

Dass paramilitärische Polizei das Feuer eröffnet und protestierende Dorfbewohner tötet, ist der vorläufige Höhepunkt einer wachsenden Welle sozialer Unruhen in China.

Peking - Die tödlichen Schüsse auf Demonstranten zeigen, wie schnell solche Konflikte außer Kontrolle geraten können. Ähnlich ist unter den aufgebrachten Dorfbewohnern, die zu Molotow-Cocktails und Sprengsätzen griffen, eine bislang ungekannte Gewaltbereitschaft erkennbar. Über fünf Monate waren die Proteste über Enteignungen und unzureichende Entschädigungen eskaliert, bis sie jetzt in bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mündeten.

«Dutzende sind ums Leben gekommen», sagt ein Dorfbewohner. «Leichen wurden im Wald und in Tälern um das Dorf gefunden.» Zwischen 19.00 und 21.00 Uhr seien am Dienstagabend die meisten Schüsse gefallen, später sei aber auch noch geschossen worden. Erst um 02.00 Uhr sei es still gewesen. Am Mittwochabend habe die Polizei wieder geschossen. Wie viele Menschen diese Woche in Dongzhou wirklich getötet worden sind, ist aber völlig unklar. «Viele werden vermisst.» Es ist von Festnahmen die Rede. Die meisten Dorfbewohner verlassen Ihre Häuser nicht mehr. Straßensperren riegeln das Dorf ab.

Die Angst geht um. Dutzende Kinder fehlen in der Schule. «Die Eltern sorgen sich, dass es nicht sicher ist, zur Schule zu gehen», sagt ein Lehrer der Mittelschule. «Dutzende von Verletzten» hat das Hospital von Dongzhou behandelt. Es wird von Leichen erzählt, die in der Straße lagen. In einem Bericht wird der Dorfbewohner Liu Yujing zitiert, dessen 26-jähriger Bruder von zwei Schüssen in Herz und Blase getroffen wurde, als er nur aus dem Haus trat, um zu sehen, was auf der Straße los war. «Er starb, bevor wir ihn ins Krankenhaus bringen konnten», sagte sein Bruder.

Die Hintergründe des Konflikts in Dongzhou sind typisch für die wachsenden Spannungen auf dem Lande in China. Örtliche Funktionäre machen gemeinsame Sache mit Investoren, kassieren selbst ab, während die Wirtschaftsentwickelung vorangetrieben wird. Die armen Bauern werden enteignet, erhalten oft nur geringe Entschädigungen für ihr Land, verlieren damit aber ihre Lebensgrundlage. Wer sich auflehnt, bekommt die Polizei oder angeheuerte kriminelle Schlägertrupps auf den Hals gehetzt. Diese Ungerechtigkeiten, gepaart mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich oder schierer Verzweiflung, führen zu Unruhen und einer Auflehnung gegen das korrupte Funktionärssystem. «Wir sind zum Kampf bereit», verkündete ein Bauer in Dongzhou.

Die Zahl der offiziell eingeräumten Proteste in China ist im vergangenen Jahr von 58.000 auf 74.000 gestiegen, warnte jüngst der Minister für öffentliche Sicherheit, Zhou Yongkang. 3,76 Millionen Menschen hätten sich daran beteiligt. Der dramatische Anstieg alarmiert die Führung in Peking. Ebenso, dass Proteste immer organisierter und weniger spontan sind. Immer wieder warnt die Kommunistische Partei das Volk, es solle nicht versuchen, soziale Ungerechtigkeiten über Proteste zu lösen. Vielmehr sollten die Chinesen ihre Probleme über Partei, Regierung und eben innerhalb des Systems anpacken - obwohl nicht nur die Dorfbewohner von Dongzhou genau dort die Wurzel allen Übels sehen. (tso/dpa)

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