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Politik: Süßes Gift

Von Elisabeth Binder

Ende der 20er Jahre suchte die amerikanische Zigarettenindustrie nach neuen Märkten. Frauen rauchten damals noch nicht, weil es als nicht schicklich galt. Um das zu ändern, wandten sich die Tabakbosse an Edward L. Bernays, den Erfinder der Public Relations. Der wartete die nächste Osterparade auf der Fifth Avenue in New York ab und überzeugte die führenden Damen der Gesellschaft, dort öffentlich Zigaretten zu rauchen. Er nannte sie „Torches of Freedom“, Freiheitsfackeln. Mit diesem fulminanten Beitrag zur Emanzipation war der Bann gebrochen. Noch viele Jahrzehnte später fingen Frauen wie Männer an zu rauchen, weil sie mit einigem Recht hoffen durften, dadurch eleganter, weltläufiger, freier zu wirken. Raucher, das ist fast in Vergessenheit geraten, hatten lange das Image, besonders coole, lässige Typen zu sein. Kaum jemand ahnte damals, dass manche von ihnen an den Folgen ihres Wunsches, möglichst schick zu wirken, elend erstickten.

Insofern ist jede Aufklärungskampagne über die Gefahren des Rauchens gut und richtig. Auch die daraus folgenden Forderungen, wirklich alle Raucher zu beteiligen an den Gesundheitskosten, sind sinnvoll, ebenso Rauchverbote in geschlossenen öffentlichen Räumen – und ein Bann gegen alles, was den Zigarettengenuss versüßt, wie es gerade die Verbraucherministerin Künast durchsetzen will. Keine dieser Maßnahmen ist jedoch geeignet, das Rauchen ganz auszurotten. Nach dem Krieg tauschten manche Menschen, halb verhungert, einen Teil ihrer Essensmarken auf dem Schwarzmarkt gegen Zigaretten ein. Auch heute wird der Leidenschaft, der Sucht so manches finanzielle Opfer gebracht. Nicht mal in den USA, wo die Antiraucherkampagnen früh schon mit missionarischem Eifer betrieben wurden, gibt es ein generelles Verbot. Es würde gerade bei jüngeren Leuten zusätzliche Anreize schaffen, es zu übertreten, und als unzulässige Freiheitsberaubung nicht nur von jenen empfunden werden, die ohne schlimme Folgen jahrzehntelang geraucht haben.

Selbst die gruseligsten Totenköpfe auf Zigarettenschachteln werden jenen allzu menschlichen Verdrängungsprozess nicht außer Kraft setzen, der immer wieder nahe legt: Mich wird es schon nicht treffen, oder wenigstens: nicht noch schlimmer. Dieser Mechanismus funktioniert, wie man gelegentlich in Krankenhauseingängen beobachten kann, selbst dann noch, wenn das erste Raucherbein bereits amputiert ist.

Seit das Bewusstsein für die Gefahren des Rauchens omnipräsent ist in der Gesellschaft, bemühen sich Politiker, berühmte Ärzte oder andere Bürger mit Vorbildfunktion immerhin, nicht vor laufenden Kameras zu qualmen. Aufklärung schafft mehr als Steuererhöhungen und Verbote, denn sie erzieht zur Rücksichtnahme. Wer für sich selber das Risiko eingeht, lange vor der Zeit zu sterben, soll damit leben können. Allerdings ist es auch richtig, dort Schnitte zu ziehen, wo unverbesserliche Raucher ihre Mitmenschen gegen deren Willen zuqualmen. Man sollte ein paar Rückzugsräume übrig lassen für jene, denen es nichts ausmacht, ganz unter sich von den Fackeln ihrer persönlichen Freiheit unter Umständen auch umgebracht zu werden. Man kann die Menschen zu ihrem Glück nicht zwingen, man kann sie aber dazu erziehen, schließlich sind sie grundsätzlich in der Lage, sich zu ändern.

Edward L. Bernays übrigens wurde sehr alt. Noch mit über 90 Jahren arbeitete er – an einer Kampagne für Antiraucherkaugummis.

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