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Auch hinterm Zaun ist Leben. Doch in deutschen Gefängnissen gehört Suizid trotz gestiegener Präventionserfolge zum Alltag.

© dpa

Suizid im Gefängnis: Schuld ist die falsche Frage

Ein Verdächtiger hat sich umgebracht. Das kommt öfter vor und empört selten. Warum die Debatte um den Tod Albakrs entmenschlicht ist. Ein Kommentar.

Ein Skandal, ein Versagen, heißt es über den Suizid des Untersuchungsgefangenen Jaber Albakr. Deutlich ist im Nachhinein, dass Fehler gemacht wurden. Der Syrer sprach kaum Deutsch, es mangelte also an Kommunikation, die wichtig ist, um gefährdete Inhaftierte zu stabilisieren. Eine psychologische Untersuchung kam zum offenkundig falschen Ergebnis. Anzeichen, etwa die Manipulation an einer Steckdose, wurden falsch oder gar nicht gedeutet. Schließlich: Sagt einem nicht schon der Menschenverstand, dass ein potenzieller Selbstmordattentäter zum Suizid entschlossen ist?

Alles wahr. Aber alles auch zweifelhaft. Denn zum Gesamtbild gehört die traurige Einsicht, dass sich nahezu wöchentlich ein Mensch in deutschen Gefängnissen das Leben nimmt. In den meisten Fällen stranguliert er sich an der Fenstersicherung, wie es Albakr getan hat. Meist in Untersuchungshaft, oft zum Anfang der Haftzeit. Albakr war leider keine Ausnahme.

Experten berichten auch von Suiziden in Hafträumen ohne Fenster und mit nur einem Loch als Klo. Nicht mal eine viertelstündige Sichtkontrolle durch die sogenannte Kostklappe in der Zellentür kann den Freitod verhindern. Den Entschlossenen genügen Minuten. Eine Gemeinschaftszelle für Albakr kam nicht infrage, er galt als Gefährdung für andere. Eine Sitzwache im Dauereinsatz hätte geholfen, ein Dolmetscher wohl auch. Für wie lange? Monate? Schließlich: Der Menschenverstand führt auch nicht zuverlässiger in das Innere eines anderen als psychologische Expertise. Der Selbstmordattentäter, den nach seiner Vorstellung als erfolgreichen Märtyrer weißhäutige Jungfrauen im Paradies erwarten, dürfte in einer anderen Seelenverfassung sein als andere Häftlinge, die sich in der JVA an ein Fensterkreuz hängen.

Viel ist nun die Rede davon, welche Erkenntnisse eine Vernehmung des Verdächtigen ergeben hätte, der er sich nun entzogen hat. Doch hätte er da wirklich geredet? Und wenn, wüssten wir dann mehr als die Geheimdienste, aus denen der Hinweis auf Albakr gekommen sein soll? Hypothesen und Mutmaßungen sind es, um die sich die öffentliche Debatte spinnt. Wichtig erschien bisher, eine gravierende Schuldzuweisung, eine politische Anklage formulieren zu können, die mit dem nunmehr Toten und seinen möglichen Vorhaben nur noch wenig zu tun hat. Es ist eine seltsam entmenschlichte Debatte: Nicht der Umstand ist zu bedauern, dass in den Händen deutscher Behörden ein Mann verstarb, dessen Tod vielleicht vermeidbar war. Sondern dass er durch seinen Tod nutzlos geworden ist, was wiederum jenen vorzuwerfen ist, die ihn nicht vermieden haben. Der Tote und sein ungelebtes Leben sind egal geworden. Auch das hat er gemeinsam mit den vielen anderen, die im Gefängnis keinen anderen Ausweg mehr sehen.

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