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Politik: Susanne Riess-Passer im Gespräch: "Es wäre dumm, auf Haider zu verzichten"

Susanne Riess-Passer, 40, ist seit 1986 Mitglied der FPÖ. Sie war zuerst Mitarbeiterin im freiheitlichen Pressereferat, dann EU-Abgeordnete und Abgeordnete im österreichischen Bundesrat.

Susanne Riess-Passer, 40, ist seit 1986 Mitglied der FPÖ. Sie war zuerst Mitarbeiterin im freiheitlichen Pressereferat, dann EU-Abgeordnete und Abgeordnete im österreichischen Bundesrat. Im Februar 2000 wurde sie Vizekanzlerin in der FPÖ-ÖVP-Bundesregierung von Wolfgang Schüssel. Nach Jörg Haiders Rückzug von der FPÖ-Spitze Anfang März 2000 übernahm sie auch den Vorsitz der FPÖ. Riess-Passer ist mit dem ehemaligen FPÖ-Funktionär Michael Passer verheiratet. Innerhalb der freiheitlichen Regierungsmannschaft wird sie dem liberalen Flügel zugerechnet.

Wären Sie vor einem Jahr nach Berlin gekommen, während der EU-Sanktionen, hätte das ziemlichen Aufruhr gegeben. Heute nimmt kaum jemand Notiz von Ihrem Besuch in Berlin: ein Erfolg?

Nein. Bei den Sanktionen hat Europa insgesamt verloren. In Österreich ist EU-Euphorie der Bürger verflogen. Die Skepsis wächst. Positiv gesagt: Wir sind selbstbewusster geworden.

Wie wirkt sich das aus?

Wir wissen jetzt, dass es in einer Staatengemeinschaft nicht bloß um Freundschaft geht, sondern um Respekt, der einem entgegengebracht wird. Wir Österreicher wollten immer die Musterschüler der EU sein. Die Sanktionen haben uns gezeigt, dass wir unsere Interessen vertreten müssen.

So gesehen, könnte auch Italien profitieren, wenn die EU nach einem Wahlerfolg der Rechten im Mai Sanktionen verhängt?

Niemand denkt ernsthaft daran, den Fehler zu wiederholen. Das wäre das Ende der Europäischen Union, weil sie dann aufhört, eine Solidargemeinschaft zu sein.

Rot-grün war eine treibende Kraft bei den Sanktionen. Wie ist heute ihr Verhältnis zu Deutschland?

Das Verhalten der deutschen Regierung war für alle Österreicher eine herbe Enttäuschung. Ein Nachbar, mit dem wir so enge Beziehungen haben, hätte die Situation besser einschätzen müssen. Von den Deutschen, die Österreich aus dem Urlaub kennen, haben wir großen Zuspruch erfahren.

Bereitet es ihnen insgeheim Freude, dass Joschka Fischer jetzt selbst wegen seiner Vergangenheit kritisiert wird?

Es amüsiert mich nicht besonders, wenn der Inhaber eines so wichtigen Amtes Probleme hat. Joschka Fischer hat sich gegenüber Österreich als eine höhere moralische Instanz verstanden, vielleicht holt ihn das ein bisschen auf den Boden zurück.

Sie sagen: die Interessen offener vertreten. Was heißt das für die EU-Erweiterung - offener bremsen?

Das Europa der 15 soll sich erweitern. Aber es geht um die Vorbereitung: Wann sind beide Seiten so weit, dass sie Nutzen davon haben? Für uns Österreicher ist die Frage der Freizügigkeit besonders wichtig. Und wir schauen auf die Atomkraftwerke. Es ist schon skurril, dass die EU alles harmonisiert von den Traktorsitzen bis zur Gurkenkrümmung, aber keine einheitlichen Sicherheitsstandards für die Kernkraft hat.

Wer ist der politische Gewinner nach einem Jahr Koalition: Kanzler Schüssels ÖVP oder Ihre FPÖ?

Der Gewinner ist Österreich. Natürlich bringen die Strukturveränderungen Brüche mit sich, das ist neu für unser Land. Es gibt mehr Konflikte, mehr Polarisierung, das finde ich aber nicht negativ. Österreich musste aus der Windstille heraus.

Ihre Partei fällt in den Umfragen zurück.

Egoistisch gesehen wäre die FPÖ besser nicht in die Regierung gegangen. Die Umstellung von Opposition auf Regierung war für uns nicht leicht. Die Erwartungen der Bevölkerung sind riesig. Die positiven Effekte der Sanierung sind für den Einzelnen noch nicht in vollem Umfang sichtbar. Bilanz wird bei der nächsten Wahl gezogen - 2003.

Einige Regionalwahlen haben Sie schon verloren, am 25. März in Wien sieht es auch nicht rosig aus.

Das waren Regionalwahlen, keine Abstimmungen über die Bundespolitik. Bisher wurden alle strukturellen Schwächen immer von der alles überstrahlenden Figur Jörg Haider überdeckt. Jetzt muss die Partei selbsttragend werden, auch gegen den Bundestrend.

Ohne Haider?

Gottseidank müssen wir nicht auf ihn verzichten.

Als Vizekanzlerin und FPÖ-Chefin müssten Sie der stärkste Trumpf sein. Im Wiener Wahlkampf sieht man nur Haider.

Mein Interesse ist, dass die FPÖ ein möglichst gutes Ergebnis erzielt. Es wäre außerordentlich dumm von uns, Jörg Haiders Hilfe nicht zu nutzen.

Wird Jörg Haider wieder ein höheres Parteiamt übernehmen?

Er ist Kärntner Landeshauptmann.

Das ist kein Parteiamt.

Als Regierungschef in Kärnten hat er eine gewichtige Stimme in allen Parteigremien. Auch auf Bundesebene. Bei uns ist das nicht so hierarchisch.

Sind die zwölf Monate seit seinem Rücktritt als Parteichef als Karenz-Zeit vor höheren Aufgaben zu sehen?

Jörg Haider hat sich nicht von der Innenpolitik verabschiedet, er hat sich nur von der Spitze der Bundes-FPÖ zurückgezogen. Das war seine Entscheidung. Er ist erst 51 Jahre alt, hat also noch einige Jahre in der Politik vor sich.

Wird er 2003 Kanzlerkandidat der FPÖ?

Das wird die Partei entscheiden.

Sind Sie dafür oder wollen Sie die Aufgabe selbst übernehmen als Parteichefin und Vizekanzlerin?

Ich bin 15 Jahre in der Politik und habe nie ein Amt angestrebt. Ich hatte das Glück, in den Entscheidungsgremien zu sein, ohne in der ersten Reihe zu stehen. Ich gehöre nicht zu jenen Politikern, die sagen: Es macht mir nur Spaß, wenn ich die Nummer 1 bin. Politik funktioniert nur, wenn das Team gut ist.

Drei Regierungsmitglieder der FPÖ sind in den zwölf Monaten zurückgetreten, ein viertes steht kurz davor.

Wenn ich mir die Zahl der Ministerwechsel bei Schröder anschaue, liegen wir im Schnitt ganz gut. Das ist wie in der Wirtschaft: Wenn etwas nicht funktioniert, muss man optimieren - und sich dazu bekennen. Es wäre falsch, personelle Entscheidungen bis zum bitteren Ende zu verteidigen. Der Wähler honoriert das.

Wären Sie vor einem Jahr nach Berlin gekommen

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