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Politik: Symbol ohne Bedeutung

Die Kritik am Bundesverfassungsgericht hält an. Auch Richter vermissen klare Worte zum Kopftuch selbst

Die Verfassungsrichter hatten es befürchtet. Wie bereits 1995, als sie das Kruzifix aus den bayerischen Klassenzimmern verbannten, setzt es auch nach dem Kopftuch-Urteil harte Kritik. Diesmal geht es jedoch vor allem darum, was das Gericht nicht entschieden hat. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse machte den Anfang, indem er es „eigentümlich feige“ nannte, dass es nach dem Urteil den Ländern überlassen bleiben soll, ob sie muslimischen Lehrerinnen ihre Kopfbedeckung erlauben oder nicht. Bayerns Innenminister Günther Beckstein fehlten Aussagen zum Kopftuch selbst. Er erkannte „keine starke Entscheidung“ des Gerichts: Das Kopftuch sei ein „massives Unterdrückungssymbol“, sagte er in der ZDF-Sendung „Berlin Mitte“ am Donnerstagabend. Repräsentantinnen des Staates müssten darauf verzichten. Gerade im Rückblick auf das Kruzifix sei das Urteil für ihn unverständlich.

Am Freitag bekam Beckstein Unterstützung von fachlicher Seite. Auch Michael Bertrams, Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, vermisste Festlegungen zum Kopftuch: „Die Entscheidung verdient Respekt, aber keine Zustimmung.“ Seine Karlsruher Amtskollegen seien der Frage nach dem Sinngehalt des islamischen Kopftuchs nicht nachgegangen, der für ihn „im Ausdruck einer religiös begründeten Degradierung der Frau“ liegt. In der Diaspora werde es zunehmend zur zivilisatorischen Abgrenzung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen eingesetzt. Es werde so zum „Ausdruck der Distanz zum Westen, damit aber auch zum westlichen demokratischen System und seinen Werten“. Eine Lehrerin, die auf dem Tragen des islamischen Kopftuchs beharre, bekenne sich nicht ohne Vorbehalt und widerspruchsfrei zum Grundgesetz. „Ihr Ausschluss aus dem staatlichen Schuldienst ist unverzichtbarer Teil einer wehrhaften und streitbaren Demokratie“.

Das Verfassungsgericht hat sich bei der Interpretation des Kopftuchs tatsächlich zurückgehalten. Dort heißt es: „Forschungsergebnisse zeigen, dass angesichts der Vielfalt der Motive die Deutung des Kopftuchs nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden darf. Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein frei gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“

Dem Urteil zufolge muss die deutsche Gesellschaft erst noch bestimmen, was ihr das Kopftuch bedeutet – und sie darf es auch, stellte das Gericht klar. Es muss sich nicht auf die Überzeugungen der Trägerin verlassen: „Für die Beurteilung der Frage, ob die Absicht einer Lehrerin, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie ein Kopftuch auf einen Betrachter wirken kann; deshalb sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen eines Kopftuchs verstanden werden kann, bei der Beurteilung zu berücksichtigen.“ Das Kopftuch sei – anders als das christliche Kreuz – nicht aus sich heraus ein religiöses Symbol.

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